Ich und andere uncoole Dinge in New York
sofort verschwunden. Schmetterlinge küssen definitiv anders, als er mich jetzt küsst, aber mir gefällt das. Für ein paar Sekunden muss ich an die Filme denken, die ich letzte Woche bei Scirox gesehen habe, um mich besser zu informieren: Pornos. Ich hatte gedacht, es würde vielleicht helfen, mal genau zu sehen, wie das eigentlich so läuft beim Sex. Dazu musste ich mich an einen der wenigen Computer schleichen, die keine Webseitensperre haben, und auch sonst war es keine gute Idee. Jetzt versuche ich, die Bilder aus meinem Kopf zu verscheuchen, die ich nie wieder sehen will. Aber zum Glück verschwinden sie und werden von diesem Flimmern ersetzt, das sich auch im ganzen Körper ausbreitet, wenn wir uns küssen. Es flimmert in tausend Farben und Peters Hand wandert meine Beine hoch und meine Rippen entlang. Dann mischt sich ein Hämmern in die leise Musik des Computerspiels, das vor sich hindudelt. Endlich hört Peter es auch. Er legt einen Finger auf die Lippen und schleicht zum Eingang.
„Peeeeeeter, bist du da?“ Die Stimme klingt ein wenig hysterisch, als hätte sie schon eine ganze Weile gerufen.
„Hier ist Florence, mach auf, falls du da bist, ich hab’ was für dich.“
Peter wirft mir einen Blick zu, der wohl Resignation ausdrücken soll, läuft ein Stück zurück und geht dann mit betont lauten Schritten zur Tür und öffnet. Ich luge vorsichtig um die Ecke, um zu sehen, was los ist. Vor der Tür steht eine Frau mit einer überdimensionalen Schottenmütze schräg auf dem Kopf. Ihre Lippen glänzen rot wie frisch bemalt. So stellen sich Amerikaner wahrscheinlich europäische Intellektuelle vor. In Wirklichkeit heißt „Florence“ bestimmt Abby oder Susan.
„Hi, Peter, stell dir vor: Liv Tyler will sich fotografieren lassen!“ Sie hält eine Flasche Sekt in sein Gesicht. „Tu veux faire une petite fête?“, fragt sie mit ausgeprägtem amerikanischen Akzent. Sie fällt ihm um den Hals und küsst ihn auf beide Wangen, dass ein Lippenabdruck zurückbleibt, den sie sofort mit Hingabe wegzuwischen beginnt.
„Ist Liv Tayler nicht diese uralte Schabracke?“ Peter schiebt sie von sich weg und in die Wohnung hinein, von der aus ich alles beobachtet habe.
„Du meinst Liz Taylor. Sie lebt nicht mehr. Sie war toll früher, nichts gegen Liz. Liv T-Y-L-E-R. Sie ist ein Star. Vergiss es.“ Als sie hereinkommt, sieht sie mich und blickt fragend zu Peter.
„Das ist Judith“, stellt Peter mich vor. Er hätte natürlich auch sagen können „meine Freundin Judith“. Immerhin habe ich noch Zeit gehabt, mein Shirt runterzuziehen und den Rest wieder zurechtzurücken. Florence stutzt kurz, um mich dann eifrig zu begrüßen. „Je mehr Leute, desto lustiger die Party!”, ruft sie und füllt den Sekt überschwänglich in die beiden mitgebrachten Gläser, ohne sich darum zu kümmern, dass sie dabei einen Teil auf dem Boden verschüttet. Florence redet ununterbrochen. Sie ist schon älter, vielleicht dreißig oder sogar noch älter. Die Frauen in New York sind schwer einzuschätzen. Ihre künstliche, blasse Gesichtsfarbe und die angestrengt flippige Kleidung wirken etwas verzweifelt. Sie reicht uns die Gläser und trinkt selbst aus der Flasche. Unentwegt dreht sie sich auf einem Bürostuhl hin und her und plappert von ihrem Business, von der unglaublichen Konkurrenz unter den New Yorker Fotografen und schließlich von Michigan, wo sie aufgewachsen ist. Sie stellt keine einzige Frage. Während sie spricht, zwirbelt sie einen der dünnen Zöpfe um ihren Zeigefinger und legt den Kopf schräg. Sie ist definitiv zu alt für diese Frisur.
„Wir wollten eigentlich gerade was essen gehen“, sage ich und lächele Florence an. Das stimmt so halb.
„Ich auch! Ich kann aber nicht so lang“, entgegnet Florence und lächelt zurück.
Ich sehe zu Peter, der mit den Achseln zuckt, und wir nehmen die Treppen nach unten. Florence geht vor mir. Von hinten ist ihre Taille unglaublich schmal, wie mit einer Kordel abgeschnürt. Darunter wölbt sich ein breiter, flacher Po. Immerhin besser, als wenn sie jetzt so eine dieser New Yorker Überfrauen wäre. Da brauche ich mir wegen Konkurrenz wenigstens keine Gedanken zu machen.
Im Treppenhaus riecht es zwar nach Benzin, aber das ist besser als der Aufzug, der für jedes Stockwerk eine halbe Minute braucht. Florence besteht auf einem Taxi, weil sie uns ein neues Restaurant zeigen will. Im Taxi sitzt sie zwischen uns, holt einen goldenen Lippenstift aus ihrer Tasche und fährt
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