Ich und andere uncoole Dinge in New York
sich damit über den Mund, ohne in einen Spiegel zu sehen. Aber nach kurzer Zeit hat sie das Rot wieder von den Lippen gelutscht und nur auf ihren Zähnen bleibt ein Hauch zurück. Sie muss tatsächlich älter sein. Jüngere Mädchen malen sich die Lippen heimlich auf der Toilette an und tun dann draußen vor den Männern so, als würden sie sich nicht so sehr um ihr Aussehen kümmern. Florence führt uns in ein Bistro in der Cornelia Street. Die Inneneinrichtung ist aus Holz, das antik ist oder zumindest so aussieht. Kerzen erleuchten betont romantisch den Raum und die Kellnerin trägt die gleiche Lippenstiftfarbe wie Florence. Es ist wirklich romantisch hier, schade nur, dass Florence dabei ist, und dann auch noch unentwegt schnattert. Es ist wieder einmal schwül, aber die wenigen Plätze draußen auf dem Bürgersteig sind schon besetzt. Die Luft wird von einem großen altmodischen Ventilator durchgerührt, was die Lage eher verschlechtert. Außerdem verströmt Florence’ Baskenmütze, die sie trotz der Hitze nicht abgezogen hat, ein muffiges Moschus-Aroma. Vielleicht stammt der Geruch noch aus dem Secondhand-Laden, wo sie die Mütze erworben hat, wie sie erzählt hat. Sie hat inzwischen ja eine Menge Sachen erzählt, die man nie wissen wollte. Ihre Augen sind braun und leer und ausdruckslos, obwohl sie sie zusätzlich umrandet hat. Sie holt eine orangene Packung Gauloises Blondes aus der Tasche, bietet Peter und mir eine Zigarette an, nimmt sich selbst eine und legt die Packung gut sichtbar auf den Tisch. Peter hält ihr ein Streichholz hin und während sie die Zigarette an der Flamme anzündet, wirft sie den Kopf anmutig zur Seite. Sie genießt, dass er ihr dabei zusieht. Sie nervt.
„Ich habe mit dreizehn angefangen“, erklärt Florence. „Ich wäre von der Schule geflogen, falls es jemand gemerkt hätte.“
„Ich dachte, hier sei es auch verboten“, sage ich.
„Eben.“ Sie grinst. Ihre kleinen Zähne schimmern gelblich in ihrem weißen Gesicht. Sie lacht über das, was Peter sagt, zwirbelt an ihren Zöpfen und greift nach seinem Arm. Wenn ich etwas sage, lächelt sie mir lau zu, wie man einem uninteressanten Kind zulächelt. Wir trinken französischen Wein und Florence bestellt die „Spezialitäten der Bretagne“ und während sie weiterplappert, überlege ich, wie wir sie wieder loswerden können. Nach dem Essen zahlt Peter die für Baguette und zwei Stücke Käse eindrucksvolle Rechnung, während Florence charmant grinst, sich dann überraschend mit zwei Küsschen auf jeder Wange bei uns verabschiedet, wie sie das bei Europäern wohl für angemessen hält, um dann ihre nächste Verabredung zu treffen. Sie wirft Peter noch eine Kusshand zu, als sie um die Ecke biegt. Wir verlassen das Restaurant etwas benommen von ihrem ganzen Gequatsche. Sie hat uns eigentlich nur dazu benutzt, ihr Essen zu bezahlen.
„Florence mag dich“, stelle ich fest, als wir in der lauen Abendluft die Straße entlang schlendern.
„Klar.“
„Nicht als Kumpel, ich meine, so richtig. Du weißt schon, wie ich das meine. Sie flirtet. Woher kennst du sie?“ Ich versuche, bei der Frage nicht zu sehr nach CIA-Ermittler zu klingen.
„Wir haben uns getroffen, als sie eingezogen ist.“
„Hattest du mal was mit ihr?“
„Nichts Ernstes.“
„Was?“ Ich bleibe stehen und reiße an seinem Ärmel, damit er mich ansieht. Ich bekomme plötzlich viel weniger Luft.
„Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich hätte noch nie etwas mit einer anderen Frau gehabt, Judith.“
„Aber mit ihr?“ Irgendwie wäre es mir lieber, wenn seine Ex-Freundin auch ein russisches Model gewesen wäre wie die von Dave. Da weiß man jedenfalls, warum. Außerdem ist es schmeichelnd, eine scharfe Vorgängerin gehabt zu haben. Das wirft ein gutes Licht auf einen selbst. Meine Mutter fühlt sich jedenfalls besonders attraktiv, seit sie von der Russin weiß.
„Sie ist ganz in Ordnung. Das ist doch schon eine Weile her.“
Wenn er sie jetzt wenigstens schlecht machen würde! „Wie lange?“ Leider höre ich mich jetzt wirklich nach CIA-Spitzel an.
„Irgendwann im Frühjahr.“
„Aber das ist ja erst ein paar Monate her!“ Ich habe mit „im Frühjahr vor acht Jahren“ gerechnet.
„Du willst doch, dass ich dir die Wahrheit sage. Das ist die Wahrheit. Sie bedeutet mir nichts. Ist das Verhör jetzt zu Ende?“
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich bin wütend und traurig und alles gleichzeitig und hasse meine
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