Ich und andere uncoole Dinge in New York
Steaks.“
Endlich trifft die mysteriöse Tante Deborah in einem engen, roten Kostüm mit passendem Hut ein. Sie ist dünn und bleich und hält sich kerzengerade, als würde sie Bücher auf dem Kopf balancieren. Deborah berichtet schmallippig von den katastrophalen Vorkommnissen ihres Vormittags. So viel Unglück an einem einzigen Tag ist beeindruckend. Und dann klingelt es noch einmal und Jerry und Rose rennen mit unverhohlener Neugier zur Tür.
„Ah, Gina, how very nice to finally meet you!“ Rose und Jerry überschlagen sich vor Begeisterung und meine Mutter strahlt. Sie ist während der letzten Woche wesentlich blonder geworden. Sie trägt wieder ihre Kreolen, ihren Busen-BH, etwas viel Lippenstift und hohe Stiefel mit schwarzen Leggings. Modemäßig wird’s Zeit, dass sie zurück nach Dinslaken kommt, sonst dreht sie noch total ab. Meine Mutter, mit viel Sinn für den großen Auftritt, umarmt mich übertrieben leidenschaftlich.
„Judi, mein Liebling. Wir sehen uns schrecklich selten. Verrückt, nicht wahr?“ Ich bin ja auch nicht so scharf drauf, verrückt ist das aber noch lange nicht. Sie müsste ja nur mal anrufen und mich treffen wollen.
Alle umarmen meine Mutter und Dave herzlich. Nur Tante Deborah drückt die Hand meiner Mutter mit spitzen Fingern zusammen und bringt dabei mit zusammengepressten Lippen einen toten Gesichtsausdruck zustande, der wohl ein Lächeln sein soll. Dave bekommt immerhin eine steife Umarmung von ihr.
Kurz danach sitzen wir auf der Terrasse in der sanften Abendsonne auf gelb-gestreiften Sitzpolstern. An einer Seite steht sogar noch eine Hollywoodschaukel. Jerry legt zu Ehren der deutschen Gäste eine Schubert-CD auf. Ich muss versprechen, später eine Beethoven-Sonate für ihn zu spielen, und gleichzeitig meine Mutter daran hindern, über meine verpfuschte Pianistenkarriere zu lamentieren.
„Mehr Talent als Adam hast du ja bestimmt“, tröstet Jerry mich prompt. Niemand scheint Rücksicht auf Adams Gefühle zu nehmen, aber Adam zuckt nur mit den Schultern und zwinkert mir zu.
Die Suppe schmeckt wie zu erwarten nach Karotten, Zwiebeln, Paprika und Schinken und lässt die vielen Stunden komplizierter Herstellung nicht erahnen.
„Sehr gut gelungen“, lobt Tante Deborah dennoch und schmatzt diskret und leise, als würde sie Wein testen. „Vielleicht einen Hauch mehr Salz. Aber nein, eigentlich perfekt.“ Wohlwollend blickt sie zu Rose.
„Adam und Judith haben die Suppe gekocht“, erklärt Rose und hebt ihren Arm, um das Lob an uns weiterzugeben.
„Ach. In der Tat ...“, entgegnet Tante Deborah, um dann bedächtig und prüfend, aber wesentlich weniger wohlwollend von Adam zu mir zu sehen.
Mit einer übergroßen Grillgabel verteilt Jerry die Fleischstücke, die glänzen wie lackiert. Die Steaks schmecken saftig und nach karamellisiertem Honig und alle, außer Tante Deborah, essen in einem Tempo, dass ich kaum mithalten kann.
„Na, Rachel, ist schon ein netter, jüdischer Junge in Sicht?“, fragt Deborah, während sie das Fleisch auf ihrem Teller hin- und herschiebt. „Ich habe letzte Woche Evelyns reizenden Sohn Noah kennengelernt. Da könnte ich problemlos eine Verabredung organisieren. Du würdest ihn mögen.“
Rachel kichert. „Ach, Debbie, so sehr wie damals diesen Jonathan? Ich suche ja schon, ich suche ja schon. Du wirst die Erste sein, der ich es erzähle, aber die Wahl musst du mir schon selbst überlassen.“ Dabei tritt sie mir unter dem Tisch so heftig gegen das Schienbein, dass ich nur knapp einen Schmerzensschrei unterdrücken kann. Natürlich erwähne ich Amal nicht, ich bin ja nicht bescheuert. Es gibt also keinen Grund, mich zu foltern. Vielen Dank, Rachel.
Dann unterhalten sich meine Mutter und Rachels Eltern über New York und die verrückte Galerieszene und Dave versichert, wie talentiert meine Mutter ist, woraufhin sie noch aufgeregter vor sich hin gackert als sowieso schon. Deborah beschränkt sich währenddessen die meiste Zeit auf das Zerkleinern und Hin- und Herschieben von Fleisch und Kartoffeln auf ihrem Teller. Ab und an knabbert sie an einem Salatblatt.
„Typisch geschiedene Frau in New York auf der Suche nach einem neuen Mann“, flüstert Meredith in mein Ohr. „Sie trägt jeden Tag Lichtschutzfaktor sechzig aus Angst vor Falten, dreimal die Woche Pilates und Power-Yoga mit Personal Trainer.“
Als auf den Tellern der anderen nur noch ein paar blankgenagte Knochen liegen, verkündet Jerry unvermittelt, dass er ein Fan von
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