Ich und andere uncoole Dinge in New York
ihrem Platz ist, schleiche ich zu ihrem Cubicle und lege den Ausdruck auf ihren Tisch. Vielleicht kann ich ihr ja heute aus dem Weg gehen. Irgendetwas sieht seltsam aus, als ich von ihrem Tisch zurücktreten will. Ich schiebe meine Papiere ein Stück nach links, bis sie eine Parallele mit der Tischkante bilden. Auf Gretchens Tisch gibt es keine Asymmetrie. Leuchtmarker stehen soldatisch aufgereiht neben gespitzten Bleistiften. Quer darüber liegen Lineal und Schere in gleichmäßigem Abstand. Auf dem kleinen Regal neben ihrem Schreibtisch sind in asiatischer Genauigkeit Eiweißdrinks, Vitamintabletten und Power-Riegel aufgereiht, eine Rockefeller-Biographie ein sorgfältig geharkter Zen-Mini-Garten und das Buch Wie man einflussreiche Freunde gewinnt . Gretchens Computer ist nicht ausgeschaltet und auf dem Bildschirmschoner flackert das Wort „Kaizen“. Keine Ahnung, was das heißt. Als ich mich umdrehe, kommt sie mir entgegen.
„Ahhh, Judith? Danke für die Doku. Das andere hat sich erledigt. Schönes Wochenende.“
Und dann ist sie weg. Ein bisschen mehr Mitleid für meinen neuen Diabetes hätte ich jetzt schon angebracht gefunden.
Montauk
Die Ausstellung meiner Mutter findet in Montauk statt. Das liegt auf dem östlichsten Zipfel von Long Island. Man braucht länger, um hinzufahren, aber es ist „viel kreativer und cooler als die versnobten Hamptons“, hat meine Mutter gesagt. Da sie Long Island genauso wenig kennt wie ich, muss sie das wiederholt haben, was der Galerist ihr erzählt hat. Tatsache ist, dass Daves Haus in Montauk ist, und das passt also ganz gut. Schade nur, dass das Wochenende, auf das ich mich bis vor Kurzem gefreut hätte, jetzt mein persönlicher Alptraum ist. In einem Haus mit Dave und meiner Mutter und Rachel, die natürlich auch von ihrem Onkel eingeladen ist. Er weiß ja nichts von unserem Streit, falls Rachel nichts erzählt hat. Und ich versuche, gar nicht dran zu denken, dass Adam auf der Eröffnung auftauchen könnte. Ich habe ungefähr dreißig E-Mail-Entwürfe für ihn in einem Ordner liegen und hoffe, dass mir noch etwas Besseres einfällt. Ich erniedrige mich jedenfalls nicht, Rachel zu fragen, wie sie nach Montauk fährt, sondern setze mich Samstagvormittag in den Zug. Meine Mutter ist schon zwei Tage früher gefahren, um alles vorzubereiten. Sie will mich am Bahnhof in East Hampton abholen, wo sie sowieso etwas erledigen muss.
Die Klimaanlage im Zug ist kaputt und als ich endlich schweißgebadet aussteige und nach ihr Ausschau halte, steht Rachel vor dem Bahnhof. Sie lehnt an einem heruntergekommenen Geländewagen und ihr regungsloses Gesicht steckt hinter ihrer Stubenfliegenbrille. „Glaub mir, das war nicht meine Idee“, sagt sie zur Begrüßung. „Ich tue Dave den Gefallen. Sie hängen die Bilder zum hundertsten Mal um und niemand darf ihnen helfen. Alles wahnsinnig geheim.“
„Danke“, sage ich .
„Der gehört Dave“, erklärt Rachel, als sie meinem Blick auf den Geländewagen folgt. Wir steigen ein und fahren los. Rachel sagt nichts, aber sie wirkt eher abwesend als sauer. Ihre Hände umfassen das dick gepolsterte Steuer wie Kinderhände. Ein weißer Augusthimmel wölbt sich über dem offenen Geländewagen und eine warme Brise zieht ihre schwarzen Locken nach hinten. Hinter Amagansett ist die Straße nur achtlos asphaltiert, als hätte eine Baumaschine in einer freihändigen Linie eine Ladung Teer auf den Boden gekippt und platt gewalzt. Langsam entspanne ich mich und lasse mich vom Jeep hin- und herschaukeln. Strommasten aus verblichenem Holz biegen sich zur Seite. Der Wind muss so häufig den Einfallswinkel geändert haben, das jeder eine individuelle Neigung hat. Fußgänger, Jogger und Hunde haben das Gras neben der Straße zu Pfaden getrampelt. Der süßlich-herbe Geruch der Sträucher durchtränkt die Luft. Direkt hinter den Büschen erstreckt sich das Meer. Wir passieren weiße und graue Holzhäuser und dazwischen spielen Hunde und schiefe Bänke ducken sich unter knochigen Bäumen. Es gibt weder Zäune noch repräsentative Pracht wie ich sie vom Zug aus am Anfang von Long Island gesehen habe.
Schließlich biegen wir von der Straße ab, die sich am Meer entlangzieht und Rachel parkt vor einem Haus aus grauen Holzlatten. Es ist auf unspektakuläre Weise wunderschön.
„Du kannst dich umziehen, dann müssen wir los.“ R achels Gleichgültigkeit ist am schlimmsten.
„Rachel, natürlich habe ich Fehler gemacht. Mit Adam habe ich sogar einen
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