Ich und er und null Verkehr
»Das müsste doch hier sein, das habe ich doch erst ⦠Warte!« Sie springt auf wie von der Tarantel gestochen und flitzt mit
erstaunlicher Geschwindigkeit ins Haus.
Keine Minute später ist sie wieder zurück. Sie schwenkt ein kleines
rotes Büchlein in der Hand und sieht ganz glücklich aus. »Ich hatte es hier, in
meinem Schrank, weil ich es erst neulich Mona geborgt habe. Hier bitte, das ist es!« Sie gibt mir das Buch und sieht mich dabei an,
als würde sie mir den Heiligen Gral überreichen.
Ich wende es hin und her und bin ein wenig überrascht. In diesem
kleinen Büchlein soll ich die Antwort auf alles finden? Ich hätte mir da eher
so einen dicken, wissenschaftlichen Wälzer vorgestellt. Nachdenklich betrachte
ich den Umschlag.
Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht
einparken von Allan & Barbara Pease. Hm. Davon habe ich schon mal
gehört, meine ich mich dunkel zu erinnern. Aber ich habâs nie gelesen.
Allein der Titel: Warum Frauen schlecht einparken. Was soll das denn
heiÃen? Ich bin mit meinem Mini bis jetzt noch in jede Parklücke reingekommen.
Okay, bis auf letztes Mal. Da habe ich eine Zeit lang rumgemurkst und es dann
aufgegeben. Und im Rückspiegel gesehen, wie hinter mir ein Kleintransporter
reinfuhr â¦
Und dass Männer nicht zuhören â okay, das stimmt.
Kerstin bemerkt meinen skeptischen Blick. »Sandra, vertrau mir«,
sagt sie mit eindringlicher Miene. »Lies das Buch, und du wirst endlich
verstehen, wie Männer ticken. Und dann gib es Martin.«
»Und du meinst tatsächlich, das hilft uns weiter?«
»Wenn ichâs dir sage«, sagt sie mit verschwörerischer Miene. »Lesen
und verstehen, das ist das Wichtigste, und zwar alle beide. Kapiert?«
»Verstehe«, sage ich und mache dabei ihren Tonfall nach.
Dann müssen wir beide kichern.
Er
Es sieht nicht gut aus. Es sieht gar nicht gut aus.
Es sieht sogar ziemlich beschissen aus.
Ich habe mit Gottfried den Fall Lorenz auf alle juristischen
Möglichkeiten hin überprüft, und wir sind zu keinem auch nur ansatzweise
positiven Ergebnis gekommen. Gottfried sitzt mir gegenüber und sieht auf den
Boden.
»Tut mir ⦠äh ⦠echt leid«, sagt er so leise, dass ich ihn fast
nicht verstehen kann.
Er hat ein schlechtes Gewissen, weil er mir nicht weiterhelfen
konnte, und das ist typisch für ihn. Gottfried hat einen IQ von mindestens
dreihundert und sein Studium mit summa cum laude abgeschlossen, aber er ist so
schüchtern, dass er nicht mal seinem besten Freund â das bin ich, da er sonst
so gut wie keine sozialen Kontakte hat â länger als drei Sekunden in die Augen
sehen kann. Und in Situationen wie dieser ist es besonders schlimm. Wann immer
irgendetwas schiefläuft, glaubt Gottfried automatisch, er sei schuld daran, und
dann vergeht er regelrecht vor Scham und Selbstvorwürfen.
»Dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen, Gottfried«,
versuche ich ihm sein schlechtes Gewissen auszureden, obwohl ich genau weiÃ,
dass es keinen Sinn hat. »Das haben andere verpfuscht, genau genommen können
wir beide nichts dafür.«
Ich habe niemandem in der Kanzlei erzählt, dass Sandra die Schuldige
war. Einerseits hätte ich damit zugegeben, gegen meine Schweigepflicht
verstoÃen zu haben, andererseits wollte ich sie auch nicht bloÃstellen. Mich
plagt noch immer mein schlechtes Gewissen, weil ich sie gestern so
niedergemacht habe, und ich habe mir schon den ganzen Vormittag lang überlegt,
wie ich das wieder einrenken könnte. Die nächtliche SMS war schon mal ein Anfang,
aber ich kenne sie. Sie wird sich Vorwürfe machen, und sie wird todtraurig
sein.
Bei dem Gedanken wird mir ganz unbehaglich zumute. Ich will nicht,
dass Sandra traurig ist. Ich will, dass sie wieder fröhlich ist. Ich will sie
wieder lachen hören. Und deswegen werde ich noch etwas nachlegen â einen StrauÃ
Blumen vielleicht, oder wir könnten am Abend ins Kino gehen. Heute ist Freitag,
da würde es gut passen.
Gottfrieds Blick streift mich für den Bruchteil einer Sekunde. Dann
guckt er sofort wieder zu Boden und meint: »Ach, das sagst du nur so.«
Herrgott noch mal, mit dem Mann hat manâs nicht leicht. Schon im
Studium war es so: Wenn ich bei Klausuren von ihm abgeschrieben habe und danach
eine Drei bekam und er eine Eins, hätte er sich am
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