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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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Kompositionen an, dachte ich, und ich stecke dir das Diktaphon ins Maul!
    »Er kam mit Therese Lessing zur Uraufführung. Eine außergewöhnlich intelligente Frau eigentlich, ich könnte gar nicht sagen, was sie an ihm... Es war Avantgarde im besten Sinn, eine Art schwarze Messe, blutbeschmierte Darsteller, Pantomime unter einem umgedrehten Kreuz, aber die beiden haben die ganze Zeit gelacht. Zunächst kicherten sie und nahmen allen anderen die Konzentration, dann brüllten sie los. Bis sie hinausgeworfen wurden. Aber natürlich, die Atmosphäre war beim Teufel, oder eben nicht beim Teufel, Sie verstehen, jedenfalls war es vorbei. Nach Thereses Tod hat er geheiratet, und nachdem seine Frau, verständlich, zu Dominik gegangen war, habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
    »Zu Dominik?«
    »Wissen Sie das nicht?« Er runzelte die Stirn, seine Augenbrauen wölbten sich buschig, sein Kinn machte einen kleinen Sprung. »Wie recherchieren Sie überhaupt? Zu meinen Konzerten ist er ja nie erschienen, das hat ihn nicht interessiert. So eine Zeit kommt nie wieder. Ansermet wollte meine symphonische Suite dirigieren, aber das kam nicht zustande, weil... Wie, jetzt schon? Bleiben Sie doch, ich habe ein paar interessante Schallplatten. Die bekommen Sie heute nirgendwo sonst zu hören!«
    *
    »Was halten Sie eigentlich von seinen Bildern?« Professor Mehring sah mich aufmerksam über den Rand seiner Brille an.
    »Zunächst zuviel Technik und zuwenig Gefühl«, sagte ich. »Später umgekehrt.«
    »Das sagt Komenew auch. Aber ich halte es für falsch.«
    »Ich auch«, sagte ich schnell. »Ein schlimmes Vorurteil!«
    »Und Komenew hat vor zwanzig Jahren ganz anders geklungen. Aber damals war Kaminski in Mode. Ich habe ihn vor einem Jahr an der Hochschule durchgenommen. Die Studenten waren begeistert. Ich glaube auch, daß seinem Spätwerk Unrecht geschehen ist. Die Zeit wird das in Ordnung bringen.«
    »Sie waren sein Assistent?«
    »Nur kurz. Ich war neunzehn, mein Vater kannte Bogovic, der hat mich vermittelt. Ich mußte die Pigmente anreiben. Er bildete sich ein, daß er intensivere Farben bekäme, wenn wir das selbst machten. Wenn Sie mich fragen, purer Spleen. Aber ich durfte dort oben bei ihm wohnen, und wenn Sie es wissen wollen, ich war ziemlich verliebt in seine Tochter. Sie war so schön, und eigentlich sah sie nie jemanden außer ihm. Aber sie hatte nicht viel Interesse für mich.«
    »Sie waren dabei, wenn er malte?«
    »Er mußte große Lupen verwenden, er hatte sie am Kopf befestigt wie ein Juwelier. Er war ziemlich nervös, manchmal hat er vor Wut seine Pinsel zerbrochen, und wenn er das Gefühl hatte, daß ich mit der Arbeit zu langsam war... Na ja, wir können uns wohl schwer vorstellen, was er durchmachte! Er hatte jedes Bild genau geplant, hatte eine Menge Skizzen, aber beim Mischen bekam er es nicht mehr richtig hin. Nach einem Monat habe ich gekündigt.«
    »Haben Sie noch Kontakt zu ihm?«
    »Ich schicke Weihnachtskarten.«
    »Antwortet er?«
    »Miriam antwortet. Ich nehme an, mehr ist nicht zu erreichen.«
    *
    »Ich habe aber nur zehn Minuten.« Bogovic strich unruhig über seinen Bart. Vor dem Fenster zeichnete sich die Mauer des Palais Royal ab, über dem Schreibtisch hing eine von David Hockney skizzierte kalifornische Villa. »Ich kann nur sagen, ich liebe ihn wie einen Vater. Nehmen Sie das ruhig auf! Einen Vater. Kennengelernt habe ich ihn Ende der sechziger Jahre, Papa führte noch die Galerie, er war so stolz, daß er Kaminski bekommen hatte. Manuel kam damals mit dem Zug, er fliegt ja nicht. Trotzdem reist er gerne. Er hat weite Fahrten gemacht, natürlich braucht er jemanden, der ihn chauffiert. Er mag Abenteuer! Wir hatten seine großen Landschaftsbilder in Kommission. Wahrscheinlich das beste, was er gemacht hat. Zwei hätte fast das Musée d'Orsay genommen.«
    »Was ist passiert?«
    »Nichts, sie haben sie nicht genommen. Herr Zollner, ich habe...«
    »Zöllner!«
    »...viele kreative Leute kennengelernt. Gute Leute. Aber nur ein Genie.«
    Die Tür öffnete sich, eine Assistentin mit enger Bluse kam herein und legte ein beschriebenes Blatt hin; Bogovic betrachtete es ein paar Sekunden, dann legte er es weg. Ich sah sie an und lächelte, sie sah weg, aber ich bemerkte doch, daß ich ihr gefiel. Sie war rührend schüchtern. Als sie hinausging, lehnte ich mich unauffällig zur Seite, damit sie mich im Gehen streifte, aber sie wich aus. Ich zwinkerte Bogovic zu, er runzelte die Stirn. Wahrscheinlich war

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