Ich Und Kaminski
er homosexuell.
»Ich fahre zweimal im Jahr zu ihm«, sagte er, »nächste Woche ist es wieder soweit. Seltsam, daß er sich so zurückgezogen hat. Papa hätte ihm hier oder in London eine Wohnung besorgt. Aber er wollte nicht.«
»Ist er völlig blind?«
»Wenn Sie es herausfinden, sagen Sie es mir! Es ging ihm nicht gut in letzter Zeit, schwere Bypaßoperation. Ich war selbst dort, im Krankenhaus... Nein, stimmt nicht, das war bei Papa. Aber ich hätte es auch für ihn getan. Wie gesagt, ich liebe diesen Mann. Meinen Vater habe ich nicht geliebt. Manuel Kaminski ist der größte. Manchmal glaube ich«, er zeigte auf das Bild der Villa, »David ist der größte. Oder Lucian oder irgendwer.
Manchmal meine ich sogar, daß ich der größte bin. Aber dann denke ich an ihn und weiß, wir sind nichts.« Er zeigte auf ein Gemälde an der Wand gegenüber: Eine gebeugte Gestalt saß an der Küste eines dunklen Ozeans, neben ihr stand ein riesiger, eigentümlich aus der Perspektive gedrehter Hund. »Das kennen Sie, oder? Der Tod am fahlen Meer. Das verkaufe ich nie.«
Mir fiel ein, daß Komenew von diesem Bild gesprochen hatte. Oder Mehring? Ich erinnerte mich nicht, was darüber gesagt worden war und ob es mir gefallen sollte. »Sieht nicht nach Kaminski aus«, sagte ich unüberlegt.
»Wieso?«
»Weil er... Weil...« Ich betrachtete meine Handflächen. »Wegen... des Strichs. Sie wissen schon, des Strichs. Was wissen Sie von Therese Lessing?«
»Den Namen habe ich nie gehört.«
»Wie ist er in Verhandlungen?«
»Das macht alles Miriam. Schon seit sie siebzehn war. Sie ist besser als Anwalt und Ehefrau zusammen.«
»Sie hat nie geheiratet.«
»Und?«
»Sie lebt schon so lange bei ihm. In den Bergen, abgeschnitten von allem. Richtig?«
»Wird schon so sein«, sagte er kühl. »Jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Nächstes Mal sollten Sie sich vielleicht einen Termin geben lassen und nicht einfach...«
»Natürlich!« Ich stand auf. »Ich bin nächste Woche auch dort. Er hat mich eingeladen.« Bogovic' Händedruck war weich und ein wenig feucht. »Nach Arkadien!«
»Wohin?«
»Wenn ich reich werde, kaufe ich Ihnen Tod am fahlen Meer ab. Egal, was es kostet.«
Er sah mich wortlos an.
»Nur ein Scherz!« sagte ich fröhlich. »Nichts für ungut. Ein Scherz.«
*
»Keine Ahnung, was der alte Esel Ihnen erzählt hat. Ich habe nie mit Adrienne zusammengelebt!«
Es war nicht leicht gewesen, Silva zu einem zweiten Treffen zu überreden; ich hatte mehrmals betonen müssen, daß er sich das Lokal aussuchen konnte. Er schüttelte den Kopf, seine Lippen waren vom Schokoladeneis braun verschmiert, ein unschöner Anblick.
»Ich mochte sie, und sie tat mir leid. Ich habe mich um sie und das Kind gekümmert, weil Manuel das nicht mehr tun wollte. Vielleicht hat er mir das übelgenommen. Aber das ist alles.«
»Wem soll ich nun glauben?«
»Das ist Ihr Problem, niemand schuldet Ihnen Rechenschaft!« Er sah mich von unten an. »Sie werden Manuel wohl bald treffen. Aber Sie werden sich nicht vorstellen können, wie er damals war. Er schaffte es, daß jeder überzeugt war, daß er einmal groß sein würde. Man mußte ihm geben, was er wollte. Nur Therese hat das nicht...« Er kratzte das letzte Eis aus dem Glas und leckte von beiden Seiten den Löffel ab. »Nur Therese.« Er überlegte, aber er schien vergessen zu haben, was er sagen wollte.
»Nehmen Sie Kaffee?« fragte ich beunruhigt. Das Ganze ging schon weit über meine Verhältnisse; ich hatte mit Megelbach noch nicht über die Spesenabrechnungen gesprochen.
»Herr Zöllner, das alles sind doch abgeschlossene Geschichten! In Wirklichkeit gibt es uns nicht mehr. Alter ist etwas Absurdes. Man ist da und auch nicht, wie ein Geist.« Ein paar Sekunden blickte er starr über mich hinweg, zu den Dächern, zur anderen Seite der Straße. Sein Hals war so dünn, daß die Adern deutlich hervortraten. »Miriam war sehr begabt, wach, ein wenig jähzornig. Als sie zwanzig war, hatte sie einen Verlobten. Er kam zu Besuch, blieb zwei Tage, reiste wieder ab und kam nie zurück. Es ist nicht leicht, ihn zum Vater zu haben. Ich würde sie gerne noch einmal sehen.«
»Das werde ich ihr sagen.«
»Besser nicht.« Er lächelte traurig.
»Ich hätte noch ein paar Fragen.«
»Glauben Sie mir, ich auch.«
*
»Daß wir nicht wußten, daß man so alt werden kann. Schreiben Sie das! Schreiben Sie das unbedingt.« Sie zeigte auf den Vogelkäfig. »Hören Sie Pauli?«
»Haben Sie
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