Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
sich hier eigentlich so darüber?«
»Nichts Besonderes«, antwortete Margot abwesend.
»Du willst darüber nicht sprechen.« Es war nicht einfach, etwas aus ihr herauszubekommen. Ihrem bodenständigen Wesen war Geschwätz eher fremd.
»Die Leute finden immer für alles eine Entschuldigung, vielleicht ein wenig zu oft.« Margot blickte sie noch immer lächelnd an.
»Welche Leute meinst du?«
»Die in Ayas. Ob sie hier leben oder ihre Ferien verbringen. Und die aus dem Aostatal. Einfache Leute, die nicht gerade oft eine Buchhandlung betreten.« Also nichts für Literatur übrighatten, folgerte Maria Dolores.
»Sonst noch was?« Sie reichte ihrer Freundin zwei Bücher zum Bezahlen. Margot nahm sie entgegen und begann sie in den Computer einzulesen. »Einen von ihnen kenne ich etwas besser als die anderen.« Sie stand mit dem Rücken zu ihr, doch ihr Ton hatte etwas Verschmitztes.
»Das heißt?«, klinkte sich die Kommissarin ein.
»Nichts weiter als eine Affäre. Ist schon lange her.« Nun sah sie ihr direkt in die Augen.
»Aha«, kommentierte Maria Dolores abwartend.
»Ich bin doch keine Nonne, was glaubst du denn. Er ist Jäger, ein schöner Mann. Inzwischen hat er etwas zugelegt, aber damals war er ein stattlicher Kerl«, und sie zeichnete mit den Händen die imaginäre Silhouette eines hochgewachsenen Mannes nach.
»Und was ist dann passiert?«
»Dann war es eben aus. Er war etwas zu rustikal für meinen Geschmack. Und dann ständig dieses Wildbret, mittags und abends. Der Geruch von toten Tieren ist einfach nichts für mich.«
Margot war Vegetarierin. Im Aostatal und dem Piemont, die als typische Fleischgegenden galten, eher ein Minuspunkt. Und auf Maria Dolores Liste der Vorteile eines Singledaseins ein weiterer Eintrag: keine ideologischen Kompromisse. Ob bei politischen Ansichten oder kulinarischen Vorlieben.
34
Ein blonder Zopf aus welligem langem Haar, der weit über die Hüfte reichte und am unteren Ende von einem merkwürdigen Gummiband in Form eines Schmetterlings zusammengehalten wurde. Diesen Zopf presste er nun in seiner Tasche an sich. Angsterfüllt, denn ein Auto, das in der zweiten Reihe parkte, hinderte den Busfahrer der Linie 60 daran, die Türen zu öffnen.
Die Besitzerin des Zopfes indes beginnt die fehlende Last zu orten. Jemand mit langen, sehr langen Haaren hat ein ganz besonderes Verhältnis zur Schwerkraft. Der Kopf ist ständig leicht angespannt, um das Gewicht, das den Nacken nach hinten zieht, auszugleichen. Insbesondere, wenn die Haare zu einem Zopf gebunden sind. Doch die blonde, knapp 30-jährige Frau spürt ihn nicht mehr. Sie dreht den Kopf, stellt ihre Tasche ab und sucht tastend mit beiden Händen danach. Ängstlich wendet sie sich fragend an die Frau neben sich. Die lässt den Blick über ihren Rücken schweifen und schaut ihr dann ins Gesicht. Schüttelt den Kopf. Die junge Frau erbleicht, starrt auf den Boden, in der absurden Hoffnung, der Zopf sei ihr hinuntergefallen. Sie blickt um sich. Weiß nicht, was tun. Beginnt wirres Zeug zu reden: »Ich habe meinen Zopf verloren!« Zehn, vielleicht mehr Jahre intensiver, auch gedanklicher Beschäftigung mit ihrem Haar. Regelmäßiges Schneiden der Spitzen. Pflegende Spülungen. Richtige Bürsten, die dem Haar nicht schaden.
Die Türen des Busses öffnen sich. Der Haardieb steigt aus, ohne den Blick von seinem Opfer abzuwenden. Unförmige Frauen mit kurzen Dauerwellenlocken starren die Frau an und bemitleiden sie. Armes verstörtes Ding. Sie wird unterdessen zornig und beschimpft die Frauen.
Dem Fahrer bleibt nichts anderes übrig, als anzuhalten. Er geht zu ihr und fordert sie auf, das Fahrzeug zu verlassen. Allein an der Bushaltestelle zurückgelassen, nimmt sie ihr Handy und wählt eine Nummer.
35
»Ich kann nicht kommen. Dieses Wochenende geht es nicht.« Starr blickte sie vor sich hin. Vor ihr Mauro Marra, der Polizist, der auf einen Sprung im Mailänder Präsidium vorbeigekommen war. Maria Dolores warf ihm ein kurzes zärtliches Lächeln zu und war im nächsten Moment schon gleich wieder reserviert. Der Priester am anderen Ende der Leitung sprach in einem fort. Die Kommissarin hörte zu. Ernst. Die Augen unbewegt auf das Holz des Schreibtisches gerichtet. Dann zum Fenster.
»Du musst mir seinen Namen nennen, du musst!« Der bedingungslos befehlende Ton von Maria Dolores durchbrach die Stille. Dann schwieg sie erneut. Hörte zu. Schaute jetzt zu Marra, der sich inzwischen gesetzt hatte und bereits seit über
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