Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
seinem Rücken wies: »Wie könnte ich sie vergessen?«
Über dem Sofa hing die Vergrößerung eines Fotos, umrahmt von anderen kleineren Formats. Drei Personen auf einer Bühne.
»Lolli ist die in der Mitte. Eine Wahnsinnsstimme.«
Funi erhob sich und betrachtete das Bild aus der Nähe: »Wo wurde das aufgenommen?«, fragte er aus einem spontanen Gefühl heraus.
Der Mann musste sich nicht einmal umdrehen: »Im Monluè.«
Schweigen. »Kennt ihr das Monluè?«
Funi: »Ein wenig.«
Die Kommissarin betrachtete stumm die perfekt manikürten und mit einem durchsichtigen Nagellack überzogenen Zehen des Mannes.
»Wir haben zusammen Jazz gespielt. Do you know?«, und grinste als Einziger breit.
»Bis Loredana verschwunden ist«, ergänzte Maria Dolores.
»Lolli?« antwortete er mit einem fragenden Gesichtsausdruck. »Wenn Sie meine persönliche Meinung interessiert: Die ist von alleine weggegangen. War ein unruhiger Geist.«
»Wer ist das nicht mit achtzehn?«, entgegnete sie entschieden.
»Ich weiß nicht. Vielleicht haben Sie Recht. Aber Lolli wollte wirklich abhauen. Sie hat ständig davon gesprochen.«
»Und wohin?«, schaltete sich Funi ein.
»Weg.« Er grinste und streckte seine Hand nach einer Schachtel Muratti aus.
»Warum wollte sie fort?« Maria Dolores schlug jetzt einen ernsteren Ton an, während sie auf die Zigaretten starrte.
»Wollen Sie eine?« Er streckte ihr die Packung entgegen. Sie schüttelte den Kopf, doch ihre Augen konnten ihre Lust nicht wirklich verbergen. Guio zündete sich eine Zigarette an und reichte sie ihr herüber. Eine herausfordernde, vertrauliche Geste, die Maria Dolores zwar mit einem Lächeln beantwortete, doch die Zigarette lehnte sie dennoch ein zweites Mal ab. »Warum?«, wiederholte sie ihre Frage.
»Das ist eine lange Geschichte«, begann er und blies Rauch in die Luft.
»Wir haben Zeit«, bemerkte Funi.
»Loredana war ein gebrochenes Mädchen.« Er streckte sich auf der Chaiselongue aus und schlug die Beine übereinander. »Sie litt wegen einem Typen, mit dem sie schlechte Erfahrungen gemacht hatte.«
»Was nicht gerade selten vorkommt, meinen Sie nicht?«, versuchte Maria Dolores die Sache abzuschwächen, ohne bagatellisieren zu wollen.
»Stimmt. Aber dass man mit dem Freund der eigenen Mutter vögelt, ist dann doch eher die Ausnahme.«
»Und wie ging das Ganze letztendlich aus?«, fragte die Kommissarin.
»Schlecht«, seine trockene Antwort.
»Inwiefern schlecht?«, bohrte Funi in eher unbeteiligtem Ton nach.
»Madame Campi, die Mutter von Lolli, war ein Model, voller Charme und Alkohol. Er ein geschiedener Fotograf mit Nachwuchs am Hals. Als sie herausfand, dass die beiden ein Verhältnis miteinander hatten, warf sie Lolli aus der Wohnung raus.« Während er sprach, setzte er sich in eine aufrechte Position.
»Und wie hat der Fotograf reagiert?«
»Blieb bei ihr. Bei der Mutter meine ich. In ihrer Wohnung. Er wollte von Lolli nichts mehr wissen. Ließ sie genauso wie die Mutter im Stich.«
»Hatte das Mädchen denn keinen Vater?«, hakte Funi nach.
»Er starb, als sie klein war. Er spielte Bass, hatte ihr seine Leidenschaft für Musik und seine Instrumente vererbt. Die habe ich jetzt. Ich habe immer gehofft, Lolli würde eines Tages vorbeikommen, um sie abzuholen«, er deutete auf eine Ecke des Zimmers. »Aber sie ist nie wieder aufgetaucht.«
»Und die anderen zwei leben noch?«, wieder war es Funi, der fragte.
»Die Mutter ist vor zwanzig Jahren am Alkohol zugrunde gegangen. Und er ist von seinen Kindern in ein Pflegeheim gesteckt worden. Er wird es wohl auch nicht mehr lange machen.« Guio fixierte Maria Dolores mit seinen klaren Augen: »Warum wollt ihr das alles eigentlich von mir wissen, jetzt, nach so vielen Jahren?«
»Wir überprüfen alle Fälle vermisster Mädchen aus dieser Zeit. Haben Sie Fotos von Lolli?«
Der Mann erhob sich, öffnete die Tür eines Wandschranks, der sich farblich kaum von dem weißen Verputz der Wände abhob, und nahm mehrere Fotoalben heraus. Maria Dolores folgte ihm mit ihren Blicken; seit damals schien er seinen Modestil nicht verändert zu haben. Gealtert in den Kleidern vergangener Zeiten: schlaffer Hintern, hervorspringende Schulterblätter und spitze Schultern. Auf dem Foto war er zwar noch blond, trug aber auch schon dieselbe Frisur. Heute war er ein verlebter Mann. Vielleicht sogar krank. Aber der Klang seiner Stimme, sein Blick, eine gewisse Eleganz in seinen Bewegungen und sein langsamer Gang ließen
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