Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
fünf Minuten wartete. Schließlich: »Don Paolo? Hallo?«
»Die Verbindung ist abgebrochen; ich muss ihn zurückrufen«, mit etwas überreizter Stimme. Der Polizist hatte noch immer keinen Ton gesagt, nickte zustimmend. Sie wählte eine Nummer. Besetzt. Ihr Blick fiel auf das Nokia auf ihrem Schreibtisch. Sie legte den Hörer auf. Wählte erneut die Nummer, benutzte dieses Mal das Handy. »Immer noch besetzt«, in ängstlichem Tonfall.
»Mach dir keine Sorgen, er wird sich schon melden«, klinkte sich Marra dazwischen.
»Ja, du hast Recht.« Sie legte beide Telefone beiseite, fuhr sich mit den Händen durchs Haar und band es zu einem Pferdeschwanz. Dann endlich widmete sie sich dem Mann vor ihr.
»Ich freue mich, dich zu sehen«, sagte sie und blieb hinter ihrem Schreibtisch sitzen, ihre Aufmerksamkeit noch immer zur Hälfte auf die Telefone gerichtet.
»Ich mich auch«, entgegnete er und stand auf. Er warf einen kurzen Blick auf die Tür, um sich zu vergewissern, dass sie geschlossen war, und näherte sich dann Maria Dolores. »Willst du gar keine Umarmung?«
»Doch, genau das brauche ich jetzt.« Bereits die zweite Umarmung innerhalb weniger Tage. Von zwei ganz unterschiedlichen Männern. Sie erhob sich und schmiegte sich in die kräftigen Arme ihres Freundes, legte ihren Kopf an seine Brust, als wäre es ihr Bruder. Kuschelte sich an ihn, so gut sie konnte. Wie an einen Vater.
»Wie lange ist es schon her, dass ich dich das letzte Mal so nah gespürt habe«, seufzte er.
»Genau fünf Monate, seit sie mir meinen Geldbeutel gestohlen haben, erinnerst du dich?«
»Wie könnte ich das nur vergessen, Doris.«
Maria Dolores wurde es zu viel. Sie löste sich aus der Umarmung. Stieß ihn leicht von sich.
»Du wirst dich nie ändern.«
»Und wie geht es ihr?« Du auch nicht , hätte sie gerne erwidert.
»Gut. Aber sie hat es mir nicht leicht gemacht. Wollte mir nicht glauben.«
»Keine Frau hätte dir geglaubt. Ich hätte dich verlassen.«
»Du wolltest mich nicht.«
»Was tut das schon zur Sache, du bist bereits ein Teil meines Lebens. Uns verbindet etwas, und das wird für immer so bleiben. Aber in einem anderen Sinn. Unsere Gefühle füreinander sind etwas ganz Besonderes.«
»Etwas ganz Besonderes? Lass uns lieber nicht weiter über dieses Thema sprechen, sonst begehe ich die gleiche Dummheit zum zweiten Mal. Setz dich lieber. Ich muss dir etwas sagen.«
Sie brachte sich in Position, bereit, zum wiederholten Mal einen Schlag einzustecken. Der dann tatsächlich folgte. Mit einem perfekten Timing. »Ich heirate. In drei Monaten. In Piacenza. Du bist eingeladen.«
So endeten alle ihre Männergeschichten: verliebt in sie, verheiratet mit einer anderen.
36
Maria Dolores Vergani: »Die wunderschöne Nymphe Eurydike war die Gemahlin des Orpheus, bei dessen Gesängen und Musik die Flüsse langsamer flossen, die Bäume sich herabneigten und die Vögel in ihrem Fluge innehielten und vor Rührung zu Boden fielen. Die beiden liebten sich, bis zu dem Tage, an dem Aristaios beschloss, Eurydike für sich zu erobern. Sie verweigerte sich ihm, und er versuchte sie mit Gewalt zu nehmen. Bei der Flucht vor ihm trat sie auf eine giftige Schlange und starb. Orpheus fand in seinem Schmerz keinen Frieden und stieg in den Hades hinab, um nach Eurydike zu suchen. Sein Unterfangen, sie zu sich zurückzuholen, blieb jedoch erfolglos, selbst nachdem er sie gefunden hatte. Denn gegen den Tod sind wir machtlos.«
Luca Righi: »Und was hat die ganze Geschichte mit uns beiden zu tun?«
Maria Dolores: »Ich habe sie geträumt.«
Luca: »Versuche ich etwa, dich zu vergewaltigen?«
Maria Dolores: »Nein, das habe ich nicht gesagt. So deutet man Träume auch nicht.«
Luca: »Und wie macht man es dann?«
Maria Dolores: »Ich erkenne eine Verbindung. Eine romantische, poetische Bindung. Eine starke fleischliche Versuchung. Eurydike möchte sich dieser entziehen und flieht.«
Luca: »Ich verstehe noch immer kein Wort.«
Maria Dolores: »Da gibt es nichts zu verstehen.«
Luca: »Hör mal, ich habe heute einen schwierigen Tag, ich werde dich bis spät am Abend nicht anrufen können, denke ich. Ist er zu Hause?«
Maria Dolores: »Er ist weg. Und ich weiß nicht, wann er zurückkommt. Wie immer.«
Luca: »Also bis später dann.«
Maria Dolores: »Bis später.«
Luca: »Warte. Nur noch eine Sache.«
Maria Dolores: »Ja?«
Luca: »Sag mir, dass du an mich denkst.«
Maria Dolores: »Ja.«
Eine Beziehung, die allein aus
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