Ich vergebe dir - Bucciarelli, E: Ich vergebe dir - Io ti perdono
könnte, würde ich es tun«, schloss der Musiker seinen Bericht.
Kleider, Schuhe, jeder einzelne Gegenstand trug dazu bei, die Maße der gefundenen Knochen mit jenen von Lolli zu vergleichen. Guio leerte seine Schränke mit der Bitterkeit frisch erwachter Erinnerungen. Und alles schien zu passen.
Ein als Leadsänger eingekleidetes Skelett wurde in einem Eichenholzsarg in sein rechtmäßiges Grab überführt. Auf dem Friedhof von Lambrate. Der einzige in Mailand, auf dem es noch freie Plätze gab.
109
Die Torvai-Nutten ruhten sich gewiss irgendwo auf ihren Lorbeeren aus. Zuhause wahrscheinlich. In Albanien. In einem Matriarchat glücklicher Prostituierter oder einer Selbsthilfegruppe für ausgebeutete Mütter und Töchter. Wer wusste das schon.
Luca Righi: »Ich habe ihr versprochen, dass ich dich nicht mehr anrufe. Sie muss wahnsinnig gelitten haben, als sie es herausgefunden hat. Ich fühle mich schuldig, ich habe mich wirklich wie ein richtiges Arschloch ihr und auch dir gegenüber verhalten. Ich dachte, ich könnte Gefühle empfinden, die ich mir aber nicht leisten kann … Sie hat mich gebeten zu schwören, dass ich dich nicht liebe.«
»Und wie hast du reagiert?«
»Ich habe es geschworen.« Genau wie immer. Ständig suchte sie sich die gleichen Männer aus. Männer am Nullpunkt. Durchschnittlich und liiert. Mit Handschellen an den Gelenken. Sie wusste, dass es keine Zukunft gab. Dass das Urteil bereits gesprochen war. Für beide Seiten. Und wenn einer der Männer bei ihr blieb, wie Michele etwa, jagte sie den anderen davon. Dieses Mal war es jedoch anders. Luca Righi lockte weiter ihre Phantasien, auch wenn sie versuchte sie zu verdrängen, auszulöschen. Das würde sie daran hindern, das zu tun, was sie sonst immer tat: die Wahrheit zu sagen. Dieses Mal würde sie sich eine kleine Auszeit von der Wahrheit gönnen. Verzeihen. Auch sich selbst.
»Hör mal«, unterbrach sie ihn, »einigen wir uns doch einfach darauf, dass wir uns in Zukunft weder hören noch sehen noch irgendetwas anderes.«
»Wir haben ja immer noch unsere Arbeit, die uns verbindet«, wagte er einen Versuch.
»Heucheleien kann ich mir wiederum nicht leisten. Jeder hat seine eigenen Schwüre, denen er treu bleibt, okay?«
»Wohin fährst du gerade?«
»Verabschieden wir uns?«
»Wieso bist du so?«
»Ich muss auflegen, ich fahre gerade auf die Autobahn. Wir hören uns ein anderes Mal, ciao.« Auf Nimmerwiederhören.
Sie spürte, wie sich ihre Herzkammer langsam zu verformen begann und das Aussehen eines Trichters annahm. Oder den Hals einer Vase. Allein ihre Willenskraft hielt diesen Prozess auf. Zumindest für den Moment. Lieber wäre sie tot, doch sie musste so tun, als bliebe alles beim Alten. Auch mit ihm. Mit ihrem Herzen.
Sie kramte vergeblich in der Tasche nach der Zigarettenschachtel. Sie fuhr schnell, schob ihre Gedanken beiseite und versuchte, an etwas anderes zu denken. Sie würde gleich Arianna treffen. Darauf musste sie sich jetzt konzentrieren. Sie würde nur wenig Zeit haben, um das herauszubekommen, was sie wissen wollte.
110
Sie saß in der Mitte des Zimmers, umringt von Spielzeug. In der Hand hielt sie einen roten Filzstift. Sie malte, und die Großmutter hatte dabei ein wachsames Auge auf sie. Der Vater führte Maria Dolores herein. Das Kind schaute kurz von seinem Bild auf, ohne das Anzeichen eines Lächelns. Maria Dolores setzte sich mit einem Meter Abstand zu dem Kind auf den Boden. »Hallo, Arianna.« Keine Antwort.
»Was für ein schönes Bild du da malst.« Und plötzlich zeichnete sich auf Ariannas Mund so etwas wie ein schemenhaftes Lächeln ab, eher eine Grimasse oder eine nervöse Zuckung. Dann plapperte sie los: »Schön, schön, schön …«
»Das ist das einzige Wort, das sie sagt«, erklärte die Großmutter mit liebevoller Fürsorge in der Stimme. »Sie fragt nicht einmal mehr nach meiner Tochter«, fügte sie dann leise hinzu.
»Und was meint die Psychologin?«
»Sie meint, wir müssten Geduld haben. Wir sollten sie in Ruhe lassen und ihr einen kleinen Hund schenken«, schaltete sich der Vater ein.
»Ein guter Rat.« Maria Dolores erinnerte sich, dass sie selbst an der Seite von Laila, ihrem ersten Schäferhund, groß geworden war.
»Sie hat gleich schön gesagt, als sie Sie gesehen hat. Endlich spricht sie«, sagte der Vater und seufzte erleichtert. Dann verdunkelte sich sein Gesicht, und er fragte: »Aus welchem Grund sind Sie eigentlich hergekommen?«
»Ich suche noch immer nach
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