Ich versprach dir die Liebe: Roman (German Edition)
interessierten. Ich zog meine Diagnostikleuchte aus der Tasche und untersuchte Elles Pupillen. Komm schon, Elle, dachte ich. Schenk mir eine kleine Reaktion. Zeig mir, dass ich mich geirrt habe. Zeig es denen da!
Ich ließ den Lichtstrahl über die eigentlich grünen Augen meiner Frau streifen, die jetzt nur noch aus unnatürlich erweiterten Pupillen bestanden und fast schwarz wirkten.
Bei der Überprüfung ihrer Reflexe fand ich jedoch nur weitere Beweise, dass Elles Gehirn bei dem Unfall schwer geschädigt worden sein musste.
Phil blickte mich an. In seinen Augen glänzte es verräterisch.»Hier sind die Aufzeichnungen des Hirndruckmonitorings. Wie du siehst, ist der interkranielle Druck extrem hoch. Wir geben ihr Steroide und Mannitol. Ich möchte so schnell wie möglich operieren. D’Amato macht sich schon fertig. Unten ist alles für sie bereit.«
Einen Sekundenbruchteil dachte ich, dass ich am liebsten selbst operieren würde, doch dann meldete sich meine Vernunft. Unmöglich! Nie im Leben könnte ich Elles Hirn mit einem Skalpell zerlegen oder auch nur jemandem dabei zusehen.
Phil reichte mir den Scan, der zeigte, wie die Blutung ihr Hirngewebe zusammenpresste. Ich musste mich an die Wand lehnen. Das konnte doch alles nicht wahr sein!
Es war noch keine zwölf Stunden her, dass Elle und ich uns auf der Dachterrasse geliebt hatten. Bestimmt schlief ich noch und hatte einen schrecklichen Albtraum, in dem Elle sich über das altersschwache Geländer lehnte. Wach auf, sagte ich mir. Du musst aufwachen! Ich blickte mich um und nahm die Einzelheiten der Notaufnahme, Phils konzentrierten Gesichtsausdruck vor der OP und die geschmierten Achsen der Räder an der fahrbaren Trage wahr. Trotzdem versuchte ich weiter, die Wirklichkeit zu verleugnen. Das hier war nichts als ein lebhafter Albtraum! Doch es nützte nichts. Ich stand im Traumazentrum. Eine Schwester kontrollierte einen von Elles Schläuchen. Sie blickte auf. Erst jetzt erkannte ich sie.
Oh ja, das hier war die schreckliche Wirklichkeit. Und meine Frau, das Mädchen, in das ich seit meinem siebzehnten Lebensjahr verliebt war und das ich schon viel früher als meine treueste Freundin verehrt hatte, war gestürzt und hatte sich den Schädel massiv aufgeschlagen. Auch der beste mir bekannte Neurochirurg, mein Freund und Partner Phil, würde diesen Schaden niemals beheben können.
Plötzlich fiel mir Elles Angst vor einem langen, langsamenTod ein, wie ihre Mutter ihn hatte erleiden müssen. Phil hielt mir eine Zustimmungserklärung hin. »Du musst das hier unterschreiben, ehe ich sie operiere. Dir brauche ich das ja nicht zu erklären.«
»Wir sollten sie in Frieden gehen lassen«, stieß ich hervor, drehte mich um und schaffte es gerade noch zur Toilette, wo ich mein Mittagessen wieder herauswürgte. Mir war, als gäbe ich alles von mir, was ich je gegessen hatte. Da gibt es kein Vertun: Man kann sein Innerstes nach außen kehren.
Phil kam mir nach und sah, wie ich mich übergab. »Matt, ich muss sie nach unten bringen, und zwar jetzt sofort. Wir haben keine Zeit für Mätzchen. Ich weiß, es ist schrecklich, und dir dürfte ebenso klar sein wie mir, dass sie es vermutlich nicht übersteht. Trotzdem würdest du dich dein Leben lang dafür hassen, wenn du es nicht wenigstens versucht hättest.« Und wieder hielt er mir das Formular unter die Nase.
An unserem Hochzeitstag hatte ich Elle versprochen, sie zu lieben, zu achten und zu ehren. Jetzt war es so weit: Ich musste ihre Wünsche respektieren. Sie würde sicher keine Operation wollen. Ich kannte die Chancen, und ich wusste um die Konsequenzen.
Trotzdem griff ich nach dem Formular und unterschrieb.
Phil verschwand und überließ mich meinen Ängsten. Verzweifelt bereute ich jeden noch so geringfügigen Verrat, den ich je an Elle begangen hatte. Es war selbstsüchtig, sie am Leben zu erhalten. Ich wusste, dass sie leiden würde, und ich wusste, dass sich ihr Gehirn niemals wirklich von den schweren neurologischen Schäden erholen würde. Als Neurochirurg kannte ich die Prognose. Es war mir unmöglich, mich in blinder Hoffnung zu wiegen. Nichts und niemand konnte Elle retten. Aber ich brauchte sie! Und ich brauchte Phil, um es wenigstens zu versuchen. Auch wenn es unmöglich war.
Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht und kehrte ins Traumazentrum zurück. Die Schwester legte gerade das mobile Beatmungsgerät an, mit dem Elle in den OP transportiert werden konnte. »Dürfte ich eine Minute mit ihr allein
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