Ich waer so gern ganz anders, aber ich komme einfach nicht dazu
war genau in dem Maß vorhanden, wie Sie sie brauchten, um an der Bettdecke zu ziehen oder am Ohr des Teddybären zu nuckeln.
Egal, wie mickrig Ihr Kinderwagen in Wirklichkeit war, für Sie war er genau richtig, und Sie schielten nicht auf andere Kinderwagen, um zu prüfen, ob die schickere Räder oder ein besseres Dach hatten. Der Kinderwagen wurde weder tiefergelegt noch höhergeschraubt, und Ihre Mutter, oder wer auch immer den Kinderwagen schob, hatte exakt die richtige Anzahl an PS. Sie sehnten sich auch nicht nach längeren Haaren, dünneren Oberschenkeln oder einem kleineren Bauch. Keine Einjährige schielt nach dem Aussehen einer anderen. Kein kleiner Junge will exakt den gleichen Schnuller wie ein anderes Baby haben und giert auch nicht nach einer Schnullernummer größer.
Damals, in dieser schönen Zeit, gab es keinen inneren Schweinehund, den Sie überwinden mussten, und es brauchte keine »Work-Life-Balance-Übungen«, um nicht völlig durchzuknallen. Keine hässlichen inneren Dialoge, in denen Sie sich herunterputzten, weil Sie mal wieder etwas vergessen hatten, faul waren oder sich völlig daneben präsentierten haben.
Alles war gut in dieser paradiesischen Zeit der Annahme und Selbstannahme. Alles perfekt, super, wunderbar, passend, genial. Nur ging diese Zeit leider viel zu schnell vorbei. Was danach kam, war etwas, dem Sie heute noch begegnen und das Sie so quält, dass Sie sich immer mal wieder verändern möchten. Es ist der Vergleich. Die Konkurrenz. Das Schielen auf andere. Das Bewerten, Wollen, Nacheifern, alles mit der Hoffnung, wieder in den paradiesischen Zustand von Annahme und Selbstannahme zu kommen.
Vergleiche mit anderen
Wenn man Mütter oder Väter fragt, dann weisen sie meist weit von sich, dass sie es sind, die als erste ihre Kinder mit anderen in Konkurrenz bringen. »Jedes Kind ist doch für sich schön!«, höre ich sie sagen. Aber genau im Kleinkindalter fallen auch die ersten Bemerkungen, die klarstellen, dass wir eben doch keine kleinen vollkommenen Gotteswesen waren oder sind. Die Vergleiche geschehen zumeist unbewusst, sozusagen über die Dächer der Kinderwagen hinweg: »Es ist unglaublich, aber Sven kann jetzt schon mit dem Löffel essen. Das geht alles soooo rasant. Und Lara?« Lara kann das noch nicht und sie weiß auch nicht, was »mit dem Löffel essen« bedeutet, aber am Abendbrottisch ist der Löffel auf einmal Thema und nicht mehr ihr süßes Kindergrinsen. »Lara, komm… probier mal. Der Sven kann das auch schon und der ist doch so süß! Gell, der ist süß? Und was der Sven kann, das kann Lara auch. Und dann ist sie auch süß!« Eigentlich hat Lara jetzt nur eine Chance: Ihr Geschick gleich auf das Hantieren mit dem kompletten Besteck zu erweitern. Als ich in meinen ersten Berufsjahren als Tagesmutter arbeitete, musste ich einem Zweijährigen ein Obstmesser zu seiner Banane legen, weil in feinen Kreisen das Obst mit Messer und Gabel gegessen wird. Sagte man mir …
Später sind es die anderen Kinder, die uns beibringen, dass es eine Rangliste der Beliebtheit gibt: Warum wollen alle Kinder immer mit Elena spielen und wieso steht Freddy immer im Tor? Die müssen was haben, was einem selbst fehlt . Und zwar alle und immer . Der erste Vergleichsblick ist alles andere als differenziert und heftet sich, weil das am einfachsten ist, erst einmal an Äußerlichkeiten:
»Elena hat aber einen rosa Ranzen!«
»Du doch auch!«
»Nein, hab ich nicht, meiner ist pink!«
»Freddy hat aber richtige Fußballschuhe!«
»Du doch auch!«
»Nein, meine sind nicht richtig richtig!«
Versteh einer die Welt, aber beide Kinder könnten sicher genau erklären, was sie exakt meinen. Aber was – neben der Farbenlehre – viel interessanter ist, sind die Auswirkungen, die unterschiedliche Farbpigmente haben können. Elena scheint beliebt zu sein und Freddy ist es offensichtlich. Folglich müssen beide etwas haben, was uns fehlt. Das »schlanker, besser, höher, schneller«, das in den Kindertagen seinen Ursprung hat, entsteht nämlich nicht durch den einsamen Blick in den Spiegel, sondern indem wir jemanden – und sei es nur gedanklich – neben uns platzieren. Es ist nicht die Farbe des Schulranzens, sondern welche beliebten Mädchen diese Schulranzen tragen. In einem FAZ -Artikel war zu lesen, dass Mode längst kein freier Ausdruck mehr ist, sondern ein Gleichheitsdiktat, das inzwischen auch für Jungen gilt. Der Artikel ist nicht etwa im Jahre 1966, sondern im März 2011
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