Ich waer so gern ganz anders, aber ich komme einfach nicht dazu
erschienen. »Ein Freundeskreis trägt komplett dieselbe Frisur aus England, Röhrenjeans, karierte Hemden. – Niemand zieht einfach irgendwas an. Nur die Nerds« ( FAZ , 6.3.2011, Gymnasien machen Leute).
Nerds sind die Sonderlinge, Außenseiter, Fachidioten, Computerfreaks oder schwarzen Schafe. Als Kind oder Jugendlicher will man jedenfalls kein Nerd sein. Ein Nerd zu sein, ist im Kindesalter bitter, deswegen streben bereits Kinder eher den Kindern nach, die wie Goldjungen und Goldmädchen wirken. Erst später kann der Nerd zu einer Marke werden.
Ich zeige Ihnen hier ein Foto aus meinen Schultagen.
Die Dicke da hinten, das bin ich. Und die hier …, die wäre ich gern gewesen. Wie eine kleine Fee. Ganz neidisch war ich auf dieses Kind, deren Namen ich heute nicht mehr weiß.
Ab einem gewissen Alter wollen Kinder nämlich nicht mehr nur Mami und Papi gefallen, sondern »der Welt«. Ihnen wird bewusst, dass es Unterschiede gibt, und dass manche Menschen, manche Kinder besser ankommen als andere. Das ist kein schönes Gefühl. Für mich brach eine Welt zusammen, als ich erkannte, dass meine gleichaltrige Cousine Gabi viel beliebter war als ich. Sie war so sanft und süß. Auf Gabis Geburtstagskarte standen die Worte »liebes Mädchen«, mir schrieb ein Onkel: »Dem kleinen Wurstele zum Geburtstag alles Gute!« Alles Gute! Na, vielen Dank!
Erst viel später erfuhr ich, dass Gabi gern wie ich gewesen wäre. Dieses Phänomen trifft man übrigens sehr oft.
Im weiteren Verlauf des Lebens wird es zunehmend anstrengender, Anerkennung und Liebe zu erhalten. Allein ein Lächeln – wie im Babyalter – genügt nicht mehr. Wir lernen es mit jedem Jahr und wissen es heute sehr genau, dass Eigenschaften, Taten und Worte nötig sind, um Liebe und Aufmerksamkeit zu erhalten. Und Güter. Unser spontanes, authentisches Wesen verwandelt sich vom Babybett bis heute oftmals in eine Art Kalkül: Wenn ich das und das mache, dann bekomme ich ein Lächeln zurück.
Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass nonverbale Botschaften um ein Vielfaches schneller im menschlichen Bewusstsein ankommen als gesprochene. Ein Lächeln oder eine hochgezogene Augenbraue reicht, um uns in Sekundenbruchteilen klarzumachen, ob unser Gegenüber unser Verhalten wirklich schätzt oder eher ablehnt. Schon als Kinder konnten wir diese Sprache dechiffrieren und richteten unser Verhalten darauf aus. Damals, im Kindesalter, wurden wir »angefixt« und kamen mit der Droge in Berührung, nach der wir heute suchen. Das Lächeln und wohlwollende Nicken eines anderen Menschen, das in uns Berge versetzen kann. »Mein Chef schickt mir sehr oft als Dankeschön ein Lob«, berichtete mir eine Sekretärin. »Durch Zufall konnte ich ein Telefonat belauschen, das er mit einem Kollegen führte. So eine Mail oder kleine SMS, die spornt sie richtig an, hörte ich ihn sagen. Danach arbeitet sie meist doppelt so hart wie vorher. Sobald die Energie nachlässt, sende ich ein neues Lob und: Es funktioniert!« Selten fühlte sich diese Frau schlimmer benutzt als in dem Moment, als sie das Gespräch belauschte. »Wie konnte ich mich nur für so ein bisschen Lob derart ins Zeug legen?« Tja. Sie wissen es bereits: Es geht um Anerkennung oder Liebe!
Längst erwachsen geworden, zieht es uns fast magisch immer wieder in das Wunderland von Bestätigung und Liebe zurück. Wir rennen der Wurst nach und fassen oft nur einen Zipfel, denn selbst wenn wir geliebt und geachtet werden, gibt es doch immer neue Menschen, die noch nicht gewonnen wurden oder die sogar eine Abneigung empfinden. Nicht alle Menschen werden von allen Menschen gemocht oder geliebt. Ich spreche aus Erfahrung, und sollten Sie gerade zurückgewiesen worden sein, heulen Sie sich gerne – in einer Atempause – aus. Ich kenne das …
Wir wollen die Anerkennung, die andere offenbar mühelos erfahren, den Applaus, die glänzenden Augen und strengen uns dafür richtig an. Der Wunsch nach Liebe und Bestätigung ist der beste Motor, den es gibt. Er lässt uns Berge versetzen, selbst wenn keine sichtbar sind.
Wenn ich schon keine bedingungslose Liebe erhalte, denken sich viele Menschen, so will ich wenigstens die Bedingungen für Liebe erfüllen:
) Ich muss abnehmen, weil mich sonst mein Mann verlässt.
) Ich muss mich mehr anstrengen, damit mein Chef eine bessere Meinung von mir hat.
) Ich muss mich besser präsentieren, damit man meine Talente erkennt.
) Ich muss besser kochen lernen, damit meine Familie zufriedener
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