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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Parlament eine großartige Rede gehalten und wir haben sie uns im Radio angehört.
    Zum ersten Mal regt sich in mir wieder ein Fünkchen Hoffnung, dass England »Herrn Hitler«, wie er ihn nennt, vielleicht doch schlagen kann, und dann wäre dieser schreckliche Krieg bald vorbei.
    Winston Churchills Stimme war mir auf Anhieb sympathisch; er hat sich sehr gewählt ausgedrückt, und ich war so begeistert, dass ich ein paar seiner Sätze aus der TIMES abgeschrieben habe, damit ich sie nie vergesse:
    »Ich werde Ihnen nun sagen, was ich bereits zu den Mitgliedern des Kriegskabinetts sagte: Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß. Uns steht eine äußerst harte und schmerzliche Prüfung bevor. Uns stehen viele, viele Monate des Kampfes und des Leidens bevor.
    Sie werden fragen: Was ist unser Ziel? Darauf kann ich mit einem einzigen Wort antworten: Sieg! Sieg um jeden Preis – Sieg trotz aller Schrecken –, Sieg, egal wie lang und schwer der Weg dorthin auch sein mag, denn ohne Sieg gibt es kein Überleben.«
    Wunderbar, nicht wahr?
    Ich hoffe und bete, dass alles, was er gesagt hat, wahr wird!
    Liebes Tagebuch,
    es gibt schreckliche Neuigkeiten!
    Am 28. Mai haben Holland und Belgien kapituliert und das ist ein schwerer Rückschlag für uns alle.
    Alle britischen Truppen wurden zum Ärmelkanal zurückgedrängt, und ich dachte schon, wir wären erledigt – »done for«, mein neuester englischer Ausdruck; gefällt mir gut –, doch dann ist ein Wunder geschehen.
    Mr Churchill, mein Held, hat dafür gesorgt, dass 220 leichte Kriegsschiffe und 650 andere kleine Schiffe nach Frankreich fuhren, in die Nähe der Stadt Dünkirchen, wo das britische Expeditionskorps von deutschen Truppen eingekesselt worden war, und die Männer wurden auf dem Seeweg evakuiert. Ein großer Triumph für England, darin ist sich das ganze Land einig.
    Und heute, am 4. Juni, hat Mr Churchill eine Rundfunkansprache gehalten, die mir große Zuversicht gibt. Jetzt kann ich wieder glauben, dass noch Hoffnung besteht.
    Folgendes hat er gesagt: »Obwohl große Gebiete Europas besetzt sind und viele alte und ruhmreiche Staaten bereits in die Hände der Wehrmacht und des hassenswerten Naziregimes gefallen sind und möglicherweise noch fallen werden, werden wir weder nachgeben noch scheitern.
    Wir werden kämpfen bis zum Ende. Wir werden in Frankreich kämpfen, wir werden auf den Meeren und Ozeanen kämpfen, wir werden mit wachsender Zuversicht und wachsender Stärke am Himmel kämpfen, wir werden unsere Insel verteidigen, egal wie hoch der Preis auch sein mag.
    Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsabschnitten kämpfen, wir werden auf den Feldern und Straßen kämpfen, wir werden in den Hügeln kämpfen; wir werden uns nie ergeben.«
    Doch obschon Churchill die britische Öffentlichkeit auch nach Dünkirchen zu begeistern verstand, musste man sich eingestehen, dass England eine Niederlage erlitten hatte, denn viele der Soldaten kehrten schwer verwundet heim.
    Einige von ihnen verschlug es nach Cambridge, wo ich und Mary uns am Nachmittag nach der Schule oder an den Wochenenden um sie kümmerten, wie es sich für junge englische Mädchen in Kriegszeiten gehörte.
    Liebes Tagebuch,
    heute habe ich einen armen, verwundeten Soldaten gesehen, der nur noch eine gesunde Gesichtshälfte hatte, und ich wäre am liebsten davongelaufen.
    Doch dann dachte ich an Papa, der im Krieg auch schwer verwundet worden war und wie sehr es ihm geholfen hätte, mit seinen Verletzungen und Schmerzen fertigzuwerden, wenn jemand im Lazarett an seinem Bett gesessen und ihm vorgelesen hätte. Oder wenn man ihm Wasser gebracht oder seine Hand gehalten hätte, wenn Papa sich einsam fühlte.
    Der junge Soldat heißt Ronnie, die eine Hälfte seines Gesichts ist bandagiert, und er hat nur noch ein Auge. Aber dieses Auge ist wunderschön und sehr, sehr blau. Freundlich und warm, nicht kalt und kühl wie Rolfs blaue Augen.
    Anfangs habe ich mich nicht getraut, etwas zu sagen, aus Angst, mein deutscher Akzent (ich glaube, den habe ich immer noch ein bisschen) könnte ihm einen Schrecken einjagen.
    Doch er hat mir ganz viele Fragen gestellt, wie ich heiße, wo ich wohne und wo ich geboren wurde.
    »In Berlin, aber dort konnte ich nicht bleiben …«, gestand ich ihm.
    Er streichelte meine Hand.
    »Du bist Jüdin?«
    Ich nickte.
    »Du Arme«, sagte er. »Wie ich hörte, tun die Nazis deinem Volk schlimme Sachen an.«
    Nicht Mama und Papa, nicht

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