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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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bevor ich ab April 1940 die Cambridge and County High School für Mädchen besuchen sollte, kam das Flüchtlingskomitee auf die wunderbare Idee, mich von Mrs Rix und von Great Shelford wegzuholen und in einer Familie namens Masterman unterzubringen, die in Cambridge in der St. Barnabas Road wohnte.
    Man nannte mir keinen Grund und hat mich auch nicht nach meiner Meinung gefragt. Aber ich war froh, von Mrs Rix wegzukommen, die mich hauptsächlich zu dem Dienstmädchen in der Küche verbannt hatte, und von ihren beiden Kindern, die mich fast immer wie Luft behandelten.
    Leid tat es mir nur wegen Phyllis, meiner einzigen Freundin im Hause Rix, und wegen der beiden Hunde.
    Liebes Tagebuch,
    ich sitze in meinem Zimmer in meinem neuen Heim bei den Mastermans. Ich bin erst seit heute Nachmittag hier und die Mastermans behandeln mich wie eine Prinzessin.
    »Marion muss den besten Stuhl bekommen«, hat Mrs Masterman, eine kleine Frau mit einer ständig besorgten Miene, gesagt.
    »Marion muss mit unserem Silberbesteck essen«, hatte Mr Masterman, ein rundlicher Mann ohne Haare und mit einem freundlichen Lächeln, gesagt.
    Um sechs saßen wir zu dritt am Tisch und aßen, was Mrs Masterman als »Tea« bezeichnete.
    Doch statt Sandwiches mit dünnen Gurkenscheiben, Gebäck mit Marmelade und Rahm und Törtchen, was es bei Mrs Rix immer zum Nachmittagstee gab, wenn sie Gäste hatte, aßen wir hier Eier auf Toast, Würstchen, gebackene Bohnen und anschließend noch »Steam Pudding« mit Vanillesoße.
    Das fand ich ziemlich irritierend, doch es wurde noch irritierender, als ich nach dem Essen aufsprang, um den Tisch abzuräumen. Mrs Masterman ließ es nicht zu.
    »Nein, Marion, meine Liebe, du machst hier keine Hausarbeiten. Du bist unser Gast«, sagte sie freundlich, aber bestimmt.
    Und als etwas später ihre Tochter Mary, ein sehr nettes Mädchen mit lustigen Sommersprossen etwa in meinem Alter, nach Hause kam, sagte Mrs Masterman zu ihr: »Mary, mein Schatz, das ist Marion. Sie wird für einige Zeit unser Gast sein, bis dieser schreckliche Krieg vorbei ist.«
    Da hat Mary einen Knicks vor mir gemacht!
    Wie merkwürdig …
    Zu meiner Freude habe ich erfahren, dass sie auch an die Cambridge und County High School geht, und das bedeutet, dass ich dort von Anfang an eine Freundin habe.
    Mary Masterman wurde nicht meine Freundin, wie sich alsbald herausstellte. Sie hatte offenbar viel zu viel Respekt vor mir.
    Erst Jahre später, als ich eines der Mitglieder des Flüchtlingskomitees traf und wir über meine Pflegefamilien in England sprachen, sollte ich die Mastermans verstehen. Und auch den Grund, warum sie mich bei sich aufgenommen hatten.
    Sie waren auf die fünfzehn Schillinge pro Woche angewiesen, die das Komitee als Kostgeld für mich bezahlte.
    Die Mastermans sahen mich vermutlich nur als zahlenden Gast, und obwohl ich mich gern bei ihnen zu Hause und als Teil der Familie gefühlt hätte, behandelten sie mich die ganze Zeit wie einen Gast, dessen Wohlwollen man erkaufen muss.
    Mit einer Ausnahme. Bevor Mary und ich am ersten Tag um Viertel vor neun mit den Rädern zur Schule fuhren, gab Mrs Masterman jeder von uns ein kleines Klarsichtpäckchen mit unserem Pausensnack: einem Stück Käse und einem Zwieback.
    Als wir gerade losradeln wollten, wurde Mary von Mr Masterman noch einmal zurückgerufen.
    Sie rannte noch einmal zurück, und ich sah, dass ihr Vater ihr ein zweites Päckchen zusteckte. Darin war ein Schokokeks.
    In der Pause um elf habe ich meinen Zwieback gegessen und sah, wie Mary sich davonschlich, um ihren Schokokeks zu essen.
    Obwohl ich nicht wusste, ob meine Eltern meine Briefe noch erhielten, schrieb ich ihnen weiter wie bisher.
    21. April 1940
    Liebste Eltern,
    es gefällt mir sehr an meiner neuen Schule. Die Mädchen sind wirklich nett zu mir. In meiner Klasse sind fünfunddreißig Mädchen und wir tragen alle dunkelgrün-blaue Uniformen.
    Nebenan läuft im Radio ein neuer Song, und ich habe gerade folgenden Satz aufgeschnappt: »Wenn man sich abends beim Anblick der ersten Sterne etwas wünscht, wird es wahr.«
    Schön wär’s …
    Liebes Tagebuch,
    heute ist der 14. Mai 1940, und ich glaube, ich habe mich verliebt.
    Nicht in einen Jungen (die Enttäuschung mit dem Fiesling Rolf hat mir gereicht), sondern in einen Helden, unseren neuen Premier- und Kriegsminister (hast du gemerkt, dass ich jetzt schon »unser« sage? Klingt komisch, fühlt sich aber irgendwie richtig an): Winston Churchill.
    Gestern hat er im

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