Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
beantworten.
Die anderen Kinder haben mich alle angestarrt, aber sie waren nett zu mir. Aber ich weiß nicht, ob sie mich an dieser Schule nehmen werden, weil ich keine Geometrie kann und auch kein Französisch.
Ich habe mir Bücher von Elizabeth ausgeliehen, um mein Wissen zu vergrößern, denn ich würde zu gern in diese neue Schule gehen.
Als ich heute aus der Schule kam, lag Euer Brief da. Da kann ich heute Nacht sicher gut schlafen.
Gestern habe ich im Haushalt geholfen und das Familienbesteck poliert.
Meine heiß geliebten Eltern, Ihr wisst, dass ich Euch nie vergessen werde, egal wie lange wir auch getrennt sind!
Eigentlich wollte ich es Euch nicht verraten, aber ich tue es trotzdem: Jeden Abend vor dem Einschlafen schaue ich mir Eure Fotos in meinem kleinen goldenen Herzchen-Medaillon an und küsse sie. Dann kann ich besser schlafen.
Eure Marion
10. März 1940
Meine liebste, süßeste Mama und mein liebster kleiner goldener Papa,
heute hatte ich einen Riesenhaufen Wäsche zu waschen, wirklich eine Menge, deshalb bin ich sehr müde. Aber ich schreibe Euch trotzdem, in der Hoffnung, dass morgen ein Brief von Euch eintrifft.
Später: Ich konnte gestern nicht zu Ende schreiben, weil die Wäsche trocken war und gebügelt werden musste.
Euer Brief, auf den ich so sehnsüchtig gewartet habe, ist heute angekommen, als wir gerade beim Frühstück saßen (ein besonders leckeres Frühstück, da Elizabeth heute Geburtstag hat: Spiegeleier, Bratkartoffeln, Brot mit Butter und Marmelade), und ich habe mich natürlich wahnsinnig gefreut.
Ich hoffe, dass es Dir wieder besser geht, Papa. Würde Dir gern etwas schicken, das Dir hilft, aber das ist leider nicht möglich.
Macht Ihr Fortschritte in Englisch? Ich verstehe diese Sprache inzwischen fast so gut wie das Deutsche.
Ich freue mich so sehr auf das Frühjahr. Hier habe ich den ganzen Winter über keinen einzigen Rodelschlitten gesehen, und das liegt vermutlich daran, dass es keine Hügel gibt.
Ich lese nicht mehr viel, Mami, denn wenn ich um vier Uhr nach Hause komme, helfe ich, den Nachmittagstee vorzubereiten, und dann ist es schon halb sechs, und ich fange mit den Hausaufgaben an.
Ich mache freiwillig mehr Englischhausaufgaben als die anderen, weil ich so schnell wie möglich perfekt sein möchte.
Neulich sollten wir einen kurzen Aufsatz schreiben, der mit dem Satz beginnt: »Es war an einem heißen, trockenen Tag im August …«
Ich war die Einzige, die viereinhalb Seiten geschrieben hat. Ich habe über den August geschrieben, als ich bei Großmutter in Magdeburg war und das Haus gesehen habe, in dem Du, Mama, aufgewachsen bist, und die Schule, die Du besucht hast.
Als unsere Lehrerin meinen Aufsatz gelesen hatte, sagte sie, niemand außer mir hätte einen so schönen Aufsatz schreiben können.
Ich fand nicht, dass er etwas Besonderes war, aber irgendwann könnt Ihr Euch ja all meine Hefte ansehen.
Um sieben essen wir zu Abend, und danach mache ich das fertig, was ich schon angefangen habe, oder ich gehe ins Bett.
Mittwochs mache ich immer den Tee für Mrs Rix, weil Phyllis da ihren freien Tag hat. Das macht mir Spaß. Ich schreibe gleich weiter, aber zuerst muss ich den Tisch decken.
Normalerweise gibt es nur an den Wochenenden Fleisch, aber heute war eine Ausnahme. Wir hatten Lamm und Kartoffeln und Weihnachtspudding.
Ihr wundert Euch vielleicht, warum wir immer noch Weihnachtspudding essen, aber in England hebt man diese Sachen lange auf. Phyllis und ich haben Etiketten auf siebenundzwanzig Marmeladengläser geklebt. Die Marmelade ist sehr lecker geworden.
Kurz nachdem ich diesen Brief geschrieben hatte, erfuhr ich, dass ich an der Cambridge and County High School, einem Mädchengymnasium, aufgenommen wurde.
Das musste ich natürlich gleich meinen Eltern schreiben, doch als ich den Brief zur Post brachte, hatte ich kein gutes Gefühl, weil in den Zeitungen gestanden hatte, dass der Briefverkehr zwischen Deutschland und England fast komplett zum Erliegen gekommen war.
Aber das war natürlich nicht das Schlimmste an diesem Krieg. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte man in dem kleinen Dorf von dem Krieg gar nichts mitbekommen.
Ich hörte regelmäßig Rundfunk, um auf dem Laufenden zu sein, und es sah ganz so aus, als würde Deutschland den Krieg gewinnen.
Das machte mir große Angst, denn es hätte bedeutet, dass Hitler an der Macht geblieben wäre und wir Juden noch mehr unter ihm hätten leiden müssen.
12
DER SCHOKOKEKS
April 1940
Kurz
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