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Ich war nur kurz bei Paul

Ich war nur kurz bei Paul

Titel: Ich war nur kurz bei Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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nehmen. Sein Gegner grinste hämisch, starrte auf Ralfs Gesicht. Ralf merkte etwas Flüssiges warm an seinen Lippen entlang rinnen, leckte mit der Zunge danach. Es schmeckte salzig. Er blutete.
       Der Grinser hatte einen kurzen Moment, in seiner Vorfreude über den vermeintlichen Sieg, die Deckung sinken lassen. Da holte Ralf zu einem mächtigen, gerade geführten Hieb, mitten auf dessen Nase aus. Es wurde ein Volltreffer und fühlte sich eklig an, als ob Knorpelmasse seine ursprüngliche Substanz aufgab. Sofort ging der andere halb zu Boden, in die Hocke, hielt sich das Gesicht, bedeckte es mit beiden Händen. Ralf gab ihm noch einen zusätzlichen Körperstoß, so dass er der Länge nach auf die Seite fiel - wie ein gefällter Baum. Der hatte hoffentlich genug.
       Einige Sekunden vergingen. Ralf stand unschlüssig auf dem Platz. Die Schultern des anderen zuckten, er hielt sich immer noch das Gesicht zu. Ralf blickte sich um, niemand zu sehen. Sein Ball lag unschuldig einige Meter entfernt. Was sollte er eigentlich noch hier? Diese Schlacht war geschlagen und zwar erfolgreich! Er hatte keine Lust mehr, weiter mit dem Ball zu spielen. Sein gefällter Gegner augenscheinlich auch nicht.
    Ralf wandte sich ab, nahm seinen Ball auf und ging davon. Es war sein erster Sieg in einem Zweikampf. Sein erster!
       Ein Gefühl des Triumphes stieg in ihm hoch. Dem hatte er es gezeigt. Der hatte doch selbst Schuld gehabt - wer hatte denn den Streit angefangen? Er, Ralf, hätte ja ritterlich gekämpft, wenn ihn der andere nicht bei erster Gelegenheit skrupellos mitten ins Gesicht geboxt hätte. Nun hatte er etwas auf die Zwölf bekommen und Ralf tat das keineswegs leid.
      Etwas Eigenartiges geschah in diesen Augenblicken mit seinem Selbstbewusstsein: Dieses kolossale Triumph-Gefühl des Sieges war es, das ihm zu neuer Selbstsicherheit verhalf. Von nun an würde er sich nie mehr etwas bieten lassen oder gar fortrennen. Von nun an sollte jeder sehen, was er davon hatte, sich mit ihm, Ralf Jensen, anzulegen.
       Als er ins Haus trat, saß Barbara immer noch verstört auf dem Küchenstuhl. Sie schaute nicht auf, als er an ihr, wortlos und erhobenen Hauptes, vorbei schritt. Im Bad erschrak er, als er sah, dass sein rechtes Auge dick angeschwollen war und drum herum ein gelb-grün-violettes Veilchen wuchs. Wenn schon; diesen Kampf hatte er siegreich für sich entschieden!
     
    Am Nachmittag, bisher war niemandem das Veilchen aufgefallen, weil Ralf sich seine Sonnenbrille zur Tarnung aufgesetzt hatte, hielt die Polizei vor dem Haus. Siegfried Jensen trat hinaus und hörte sich an, was die beiden dänischen Beamten wollten.
       »Ralf! Ralf, komm mal raus!« Ralf nahm die Füße vom Hocker und trat mit unschuldigem Blick nach draußen zu der kleinen Gruppe. »Die Polizisten sagen, du hättest jemanden verprügelt und ihm die Nase gebrochen. Stimmt das?«
       Die Beamten sprachen zum Glück deutsch, mit einem witzigen Akzent: »Was ist passiert, junger Mann?«
       »Naja, heute Vormittag, auf dem Bolzplatz, kam da so ein...« »Ralf, man nimmt die Sonnenbrille ab, wenn man mit jemandem spricht! Das ist unhöflich!« Barbara war hinzugetreten. Ralf nahm die Brille ab; die Beamten konnten sich ein Grienen nicht verkneifen.
      »Ralf! Du hast ja ein blaues Auge, mein Gott, und du hast nichts erzählt!«
       »Na, da hat es ja eine schöne Balgerei gegeben, wie man sieht.« Der etwas untersetzte Beamte sprach mit näselnder Stimme. »Trotzdem müssen wir ein Protokoll aufnehmen, weil Anzeige wegen Körperverletzung gestellt wurde. Sie sind doch hoffentlich Haftpflicht versichert?«
       Siegfried Jensen nickte grimmig. »Selbstverständlich, ja! Kommen sie doch bitte herein, meine Herren.«
       Die Nachbarn und Koschkas wurden aufmerksam und beobachteten das seltsame Geschehen aus der Entfernung. Die Vernehmung dauerte eine gute halbe Stunde. Ralf war von seinem Vater schwer enttäuscht. Hatte der ihn doch in Anwesenheit der Polizisten als schwierigen Jungen bezeichnet und, anstatt ihm beizustehen und ihn wegen seiner Notwehrlage zu verteidigen, sogar vor den Polizisten behauptet, dass seine allein erziehende Mutter mit seiner Erziehung wohl überfordert sei. Er war überhaupt nicht schwierig!
       Den Polizisten versuchte Ralf zu erklären, dass er nicht angefangen hatte und stattdessen sein Gegner derjenige war, der ihm zuerst ins Gesicht geschlagen hatte. Daher ja auch sein Veilchen. Die Polizisten schienen das auch

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