Ich war nur kurz bei Paul
spiegelte heftige innere Vorgänge wider, so als ob sie nicht wüsste, ob sie alles bestreiten, oder ihr Wissen um diese Dinge bekennen sollte. Paul war sich in diesem Augenblicke sicher, dass Maiks Mutter vieles davon im Stillen ahnte, wusste oder vielleicht sogar deckte? »Sie sehen, Herr Schmitt, ich bin ratlos. Ja, ich höre nicht zum ersten Mal von diesen Dingen. Mir gegenüber streitet der Junge natürlich alles ab. Was soll ich denn Ihrer Meinung nach machen?«
»Tja, das ist nicht leicht zu beantworten. Zu lange schon hat er diese Verhaltensmuster als für sich nützlich erkannt. Nie ist ihm ernsthaft eine Konsequenz aus seinem Tun erwachsen. Wie steht denn der Vater dazu?«
»Gerhardt? Der hat sich nie um die Erziehung gekümmert, immer blieb dies meine Aufgabe. Wissen Sie denn nicht, dass mein Mann im Stadtsenat sitzt und Ambitionen hat, sich für das Amt des Bürgermeisters aufstellen zu lassen? Das ist ein hartes Geschäft, mit vielen Terminen. Eine Vierzig-Stunden-Woche kennt er nicht. Wenn Gerhardt von Maiks Verfehlungen erführe, würde er Maik sofort in einem weit entfernten Internat unterbringen. Das möchte ich aus verständlichen Gründen natürlich vermeiden.«
»Vielleicht wäre dies sogar die Rettung für Ihren Sohn - die einzige, die zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch Erfolg verspräche. Ich könnte mir vorstellen, dass nur das Verpflanzen in eine völlig neue Umgebung mit völlig anderen favorisierten Verhaltensmustern Maik noch aus dem Sog des jetzigen haltlosen Lebens herausbringen könnte.«
Frau Luckner griff zum Spitzentaschentuch und betupfte sich vorsichtig die Augenwinkel, um das Augen-Make-up nicht zu zerstören.
»Ganz sicher sollten Sie Ihren Mann mit in das Vertrauen ziehen, das muss er doch als Vater wissen. Sie wollen doch gewiss nicht, dass Ihr Sohn endgültig auf der schiefen Bahn verbleibt. Da heißt es, wie bei der Bildhauerei: Scharfe Konturen entstehen nur durch entschlossene Schnitte!« Paul ließ ihr Zeit, das Gehörte zu verdauen.
Während der eintretenden Stille musterte er das halb aufgefaltete Papier, das neben den fünfhundert Euro lag. Er kniff die Augen zusammen und entzifferte die Überschrift: Vereinbarung , stand groß oben drüber. Aha, das hatte er sich doch gedacht: Er sollte sich mit der Geldzahlung zu irgendetwas verpflichten. Nicht im Traume!
»Was nun Ihr finanzielles Ansinnen angeht, liebe Frau Luckner. Wenn Sie mir wirklich, ohne Hintergedanken und Berechnung, die genannte Summe zuteil werden lassen wollen, so will ich Sie annehmen - als Ersatz für meine erlittenen Seelenqualen. Eine Quittung unterschreibe ich dafür jedoch nicht - wofür Sie sicher Verständnis aufbringen werden?«
»Hier nehmen Sie, Herr Schmitt!« Sie schob beide Summen hinüber und steckte die Vereinbarung kommentarlos und ununterschrieben wieder zurück in ihre Tasche. »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, aber ich habe noch Termine! Ich werde mir Ihre Worte durch den Kopf gehen lassen und möcthe mich gerne, wegen des Geschäftlichen, später noch einmal mit Ihnen in Verbindung setzen.«
Paul wusste hinterher nicht zu sagen, was er von seiner Besucherin zu halten hatte. Ihm ging das Gespräch wieder und wieder im Kopf herum. In seinem ersten Impuls hatte er geglaubt, sie käme nur, um ihren Sohn freizukaufen. Wahrscheinlich stand auf der Vereinbarung etwas, wie: ...ziehe ich meine bei der Polizei getätigte Anzeige zurück . Obwohl er ja keine Anzeige gestellt hatte. Ob Frau Luckner das übersehen hatte?
Aber dann kamen ihm Zweifel an dieser Intention. Sie trat zwar auf wie eine gewiefte, kühle Geschäftsfrau, unter der Oberfläche meinte er jedoch ihre einsame und verletzte Seele erkennen zu können. Mochte sein, dass sie in ihrer Ehe mit diesem Gerhardt Luckner, dem Senator, nicht ihre Erfüllung gefunden hatte und nun jeder von ihnen seiner Wege ging: Er als Politiker, sie als Galeristin, und ihr Sohn, Maik, dadurch einfach ihrer Aufmerksamkeit entglitt. Er mochte sich nicht ausmalen, wie viele Kinder- und Jugendschicksale durch eine solche Berufskonstellation der Eltern schwer beeinträchtigt waren. Vielleicht wäre Maik, hätte er nicht nur unter der Obhut des Hauspersonals, sondern unter der aufmerksamen Fürsorge seiner Mutter und seines Vaters gestanden, sich gänzlich anders entwickelt?
Wieder einmal war es offensichtlich, dass jedes noch so kleine Detail seine Auswirkungen auf das Große und
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