Ich war nur kurz bei Paul
seit ihrem Herzug aus Silberstedt freiwillig und ohne Aufforderung im Haushalt mit. Plötzlich machte ihr auch die Schule wieder Spaß, denn auch bei ihr war der Lehrstoff ziemlich der gleiche wie der in Silberstedt. Das brachte ihr nun viele Vorteile.
Mutter Yvonne war seitdem deutlich besser und optimistischer gestimmt. Auch sie veränderte sich mit, oder gerade durch die neue Situation. Seit der Trennung von Siegfried Jensen war ihr Verhältnis zu Nadine über Monate hinweg distanziert zu nennen gewesen, seitdem sie jetzt jedoch zu dritt zusammenlebten, ging es ihnen allen viel besser.
Der Anwalt redete mit Siegfried Jensen Tacheles und reichte die Scheidungsklage ein. Der Termin stand noch aus. Im Namen seiner Mandantin und ihrer Kinder wurde jetzt die Aufteilung des Vermögens betrieben und es sah so aus, als ob sich sogar schon ein potenzieller Käufer für das Haus ernsthaft interessierte.
Eine für die kleine Familie willkommene Bereicherung waren die fünf Tage, die Karlchen Ende November bei ihnen war. Paul hatte geschäftlich in London zu tun, und Ralf hatte sich sofort bereit erklärt auf Karl den Großen aufzupassen.
Zuerst war seine Mutter über die Erklärung für Karlchens erneute Einquartierung erstaunt, denn sie wusste ja noch immer nicht, wer Paul wirklich war. Ralf erklärte ihr, sein Freund hätte ihn um diese Gefälligkeit gebeten, weil er wegen einer Blinddarmoperation ins Krankenhaus müsse und seine Eltern den ganzen Tag berufstätig seien. Daraufhin gab sie ihre Zustimmung.
Karlchen verhielt sich vorbildlich, war auch zu den Nachbarn freundlich - vor allem zu Frau Hoffmann. Nachdem sie ihn das erste Mal im Treppenhaus gestreichelt hatte, lief er immer erst zu ihr, ein Stockwerk höher, und kratzte an ihre Türe. Wenn sie dann öffnete, zwängte er sich an ihr vorbei und rannte wie der Blitz in ihre Küche und forderte, Männchen machend , auf unwiderstehliche Art ein Leckerli ein. In Ermangelung eines Hundekuchens öffnete Frau Hoffmann unter Karlchens schmachtendem Blick den Kühlschrank, zauberte feine Kalbsleberwurst hervor und bestrich ihm ein halbes Stück Schwarzbrot damit.
Dies wurde fortan zum täglichen Ritual. Frau Hoffmanns Züge wurden bei seinem Anblick noch weicher und freundlicher, als sie es ohnehin schon waren. »Weißt du, Ralf, ich hatte immer Hunde. Als aber mein Benny starb, das war so ein drolliges Kerlchen, ein Pudel-Mix, da hab ich keinen neuen mehr gewollt. Wer würde den dann nehmen, wenn ich vor ihm sterbe? Ich bin außerdem nicht mehr so gut zu Fuß, und seitdem ich keinen Hund mehr habe, wird das auch immer schlimmer! Aber dein Karlchen ist ja wirklich herzallerliebst!«
Viel zu schnell gingen die Tage seiner Einquartierung vorbei. Als Paul aus London zurückkam, brachte er für Ralf originale Camel Trekkingschuhe aus genarbtem Büffelleder und mit dicken Kreppsohlen mit. Sie passten wie angegossen.
Pauls glückliche Rückkehr feierten sie natürlich mit Tee und Marmorkuchen. »Weißt du, Ralf, London ist großartig! Ich hab mich an der Stadt nicht satt sehen können, und das Beste ist, ich habe drei Bilder verkauft! Für ein hübsches Sümmchen hängt ' Der Angler' jetzt in Southhampton in einem alten Castle an der Wand, das Augenmotiv ' Verletzt' in Schottland und du glaubst es nicht, der Expressionist sogar in den Vereinigten Arabischen Emiraten bei irgend so 'nem Scheich. Ist das nicht großartig? Dein Paul avanciert noch zum internationalen Künstler!«
Während Paul voller Begeisterung von seinem Londontrip berichtete, leuchteten seine Augen in nie gekannter Weise - er schien um Jahre verjüngt. Ralf war beeindruckt und stopfte sich fasziniert lauschend, ein drittes Stück Marmorkuchen in den Mund. Als Paul endete und nach Karlchens Betragen während seiner Abwesenheit fragte, berichtete Ralf von dessen neuer Freundin, der Frau Hoffmann. Dann druckste er herum und Paul schien das nicht zu entgehen. »Was war noch? Ich sehe es dir doch an, dass noch etwas war - heraus damit! Was hat Karl angestellt?«
»Gar nichts! Aber es hat mich etwas beunruhigt, dass wir einmal auf einem Spaziergang Tim und Ata begegnet sind. Sie brausten an uns vorbei und zeigten mir den Stinkefinger. Die haben Karlchen erkannt, schließlich hatten sie ihn ja einige Tage geklaut.«
Paul lächelte nun entspannt. »Da brauchst du dir keine Sorgen drum zu machen! Maik ist weg, weit fort, in einem Internat in
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