Ich war nur kurz bei Paul
Ganze hatte. Nichts, aber auch gar nichts, geschah einfach so, blieb ohne Folgen und Wirkungen für Andere. Ganz ergriffen von dieser bildlichen Vorstellung streifte Paul seinen Malerkittel über; er musste malen, jetzt, durfte seine bildhafte Vorstellung nicht verlieren. Mit entrücktem Blick begann er mit Kohle, die ersten Konturen auf die Leinwand zu setzen...
***
Margit Luckner hielt Wort: Zwei Wochen nach ihrem ersten Besuch fand Paul einen dicken, weißen A4-Umschlag mit ihrem Absender im Postkasten. Sie schickte ihm Unterlagen für die erwähnte Kunst-Ausstellung des Auktionshauses in London, zusammen mit einem förmlichen Geschäftsschreiben an ihn. Sie machte ihm das gut klingende Angebot, einige seiner Bilder mit in das Auktions-Programm hinein zu nehmen. Sie kündigte ihren Besuch für den kommenden Sonntag, elf Uhr, an. Falls ihm dieser Termin nicht genehm sei, möge er sie doch bitte anrufen. An das Geschäftsschreiben war ein handschriftlicher Notizzettel geheftet, auf dem geschrieben stand: Es gibt auch Neues zum Thema Maik.
Paul strich sich nachdenklich über das bartlose Kinn. Sie schien es wirklich ernst zu meinen oder handelte es sich um einen Fallstrick? Wollte sie ihn ködern, ihm den Mund wässrig machen, um sein Wohlwollen in Sachen Maik zu erreichen? Nein, das mochte er nicht glauben. Dies hier wäre eindeutig eine Nummer zu groß für eine solche Geschichte.
Seine Bilder, angeboten in einem Londoner Auktions-Haus, vor internationalem Publikum? Konnte er sich dort wirklich Verkaufschancen ausrechnen? Nun, er malte seit mehreren Jahrzehnten, bestritt sogar weitgehend seinen Lebensunterhalt davon. Bisher verkaufte er überwiegend über zwei Galerien in Hamburg und Düsseldorf. Zu beiden Galeristen unterhielt er seit vielen Jahren eine vertrauensvolle Geschäftsbeziehung und auch einen guten persönlichen Kontakt. Konnte man es ihm übel nehmen, wenn er nun über eine dritte Galerie international anbot? Lächerlich? Jeder ist seines Glückes Schmied . Welche Nachteile sollten seinen bisherigen Geschäftspartnern aus der Sache entstehen?
Viele solcher Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Vor allem aber fragte er sich, ob er zu dieser Margit Luckner überhaupt eine Geschäftsbeziehung aufbauen wollte. Bisher hatte er es stets so gehalten, dass er Geschäfte möglichst nur mit Menschen machte, die ihm angenehm waren. Bei dieser Galeristin war er noch zu keinem Urteil gekommen. Er gestand sich natürlich ein, dass ihr Sohn mit seinen hässlichen Geschichten dafür sorgte, dass er bei seiner Urteilsfindung länger als üblich brauchte. Wenn er Maik einmal ausklammerte, was blieb? Eine eloquente Dame, die als erfahrene Galeristin internationale Kontakte pflegte, interessierte sich für seine Bilder. Meist war es andersherum. Er, der Künstler, musste Geschäftspartner suchen, um seine Bilder loszuschlagen. Welch eine süße Verlockung lag darin - das konnte womöglich seine Chance werden, vielleicht oder sehr wahrscheinlich sogar, seine letzte?
Zwar hing er nicht zu sehr am Gelde, aber das Leben war teuer genug; größere finanzielle Mittel konnten keineswegs schaden! Jedoch wog schwerer als aller materieller Lohn, die künstlerische Anerkennung. Er, der Maler, malte weitgehend für sich selbst. Wie freute er sich, wenn andere Menschen von seinen Bildern angesprochen oder gar zum Nachdenken angeregt wurden. In Ordnung, er würde sie empfangen. Nein sagen, konnte er immer noch.
Sie war pünktlich. »Freut mich, Herr Schmitt, dass Sie mich empfangen. Darf ich?«
»Aber bitte sehr, treten Sie ein, Frau Luckner!«
Diesmal war er vorbereitet, hatte sogar starken Kaffee aufgebrüht, den er selbst seit den Tagen der Fotografiererei nicht mehr genossen hatte. Sie beugten sich über seine Bilder, begutachteten, verwarfen, nahmen einige in die engere Auswahl. Sie wollte fünf seiner Werke in ihr Programm aufnehmen.
Lange diskutierten sie über die geeignete Auswahl. Paul erkannte an, dass sie wirklich Kunstverstand besaß, und mit kritischem Auge, aber auch aus frischer und neuer Sicht heraus, seine Bilder interpretierte. Dies überraschte ihn, brachte ihm neue Energie, ja - er gestand sich ein, dass sie ihn mit ihrer Diskussion über seine Werke außerordentlich inspirierte.
Sie entschied sich für zwei der vielen Augenmotive (überraschenderweise und wohl Ironie des Schicksals, befand sich auch das mit der winzigen Träne Ralfs darunter, was sie
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