Ich war nur kurz bei Paul
deinem Fall war das wohl auch so; obwohl Gewalt im Allgemeinen keine gute Lösung ist. Naja, jedenfalls ist jetzt alles ein Riesen-Kuddelmuddel bei euch. Nadine will nicht mehr in Silberstedt wohnen, Barbara ist weg, Oma geht es schlecht, deine Mutter ist auch am Boden, wie du mir erzähltest. Noch mehr kann doch eigentlich nicht kommen, oder?« Paul füllte noch einmal die Teetassen nach und bestrich Ralf ein Rosinenbrot mit Butter. »Da, iss erst mal! Und dann müssen wir überlegen, was wir tun können.«
***
Jetzt waren die drei in Schleswig bei der anderen Oma. Paul ging die verkorkste Familiensituation nicht aus dem Kopf. Dieser Siegfried Jensen schien nichts zu begreifen und der totale Schwerenöter zu sein. Konnte keinem Weiberrock widerstehen und machte durch seinen Egoismus alles kaputt. Anscheinend musste Ralfs Mutter auch noch anderen Stress haben, denn sie war schon, so wie der Junge erzählte, niedergeschlagen, bevor sie das volle Ausmaß der Katastrophe erfuhr. Paul tippte entweder auf Beziehungsstress oder aber, es war etwas auf ihrer Arbeit passiert. Ralf hatte ihm dazu nichts Genaueres sagen können.
An diesem Sonntagmorgen stand Paul zeitiger auf als üblich. Er hatte schlecht geschlafen. Irgendwelche wirren Träume hatten ihn geplagt, an deren Inhalt er sich nun partout nicht erinnern konnte. Deshalb ging er bereits nach dem Frühstück mit Karlchen spazieren und kaufte sich auf dem Rückweg beim Eck-Kiosk eine Zeitung und klönte noch ein wenig mit Hugo.
Der wusste immer über alles Bescheid, was im Viertel passierte, und so war Paul bereits über das Lokale informiert. Das war Paul wichtig, weil er sich meist nicht das örtliche Zeitungsblatt kaufte, sondern sich aus der Süddeutschen über die große Weltpolitik informierte.
Kaum hatte er die Stiegen zu seinem Atelier erklommen und die Tür hinter sich geschlossen, da schlug die Türglocke an. Erstaunt, denn ihm war niemand aufgefallen, der ebenfalls auf dem Weg zu seinem Haus war, drückte er den Summer und lugte von oben in den Treppenhausschacht. Karl neben ihm, schwanzwedelnd. Das energische Klackern mit Messing beschlagener Absätze war zu hören - eine Dame auf dem Weg zu ihm?
Schnell wandte er sich ab, um die restlichen Frühstücks-Utensilien vom Tisch zu nehmen. Damenbesuch -- an einem Sonntagmorgen, wer mochte das wohl sein? Da Karlchen bei Besuchern, die das Treppenhaus erklommen, nicht von seinem Standort abrufbar war, hatte Paul die Ateliertür angelehnt gelassen. Nun wandte er sich wieder der Tür zu, gerade rechtzeitig; denn nun erschien auf dem letzten Absatz ein heller Trenchcoat, der eine hoch gewachsene Dame umwehte. Wahrhaftig, es handelte sich tatsächlich um eine Dame, und um was für eine! Mit schmalem Gesicht, sorgfältig frisierter Kurzhaar-Frisur und dezentem Make up, trug sie unter ihrem Arm eine Collagemappe. Sie schaute ihm beim Erklimmen der letzten Stufen gewinnend in die Augen und streckte ihm die Hand entgegen. »Herr Schmitt, nehme ich an?« Paul kniff ein Auge halb zu, wie um sie besser taxieren zu können und nickte. »Ja, ich bin Paul Schmitt. Und mit wem habe ich die Ehre?«
»Luckner, Margit Luckner. Ich bin die Mutter von Maik.« Überrascht ergriff er die ihm dargebotene Hand.
»Oh, Frau Luckner! Sie sehen mich überrascht.«
»Es blieb mir leider keine andere Wahl, Herr Schmitt, als Sie persönlich aufzusuchen. Da keine Telefonnummer von Ihnen in Erfahrung zu bringen war, konnte ich meinen Besuch leider nicht ankündigen. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen, denn ich möchte Sie bitten, mir einen kleinen Moment Ihrer Zeit zu widmen. Ich würde gern mit Ihnen über diese dumme Geschichte meines Sohnes reden.«
Karlchen schnüffelte interessiert am Schuhwerk der Besucherin, sah nun die Dame aufmerksam an und kläffte fröhlich, was bei ihm hieß: Ich bin auch noch da! Leider fand er keinerlei Beachtung.
»Ja, ich höre.«
»Müssen wir das wirklich hier im Treppenhaus besprechen...?«
»Nein, natürlich nicht! Kommen Sie doch bitte herein!«
»Karl, troll dich! Ab - geh in dein Körbchen!« Karl hatte seine Ohren offensichtlich auf Durchzug gestellt. Seine Nase klebte erneut an den hochhackigen Schuhen der Dame. »Bitte entschuldigen Sie, der Kleine ist immer ganz närrisch, wenn einmal Besuch kommt.«
»Ja, gewiss!« Frau Luckner lächelte geziert und blieb im Atelierflur stehen. »Bitte, gehen Sie hinein! Darf
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