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Ich war nur kurz bei Paul

Ich war nur kurz bei Paul

Titel: Ich war nur kurz bei Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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heim. Das bleibt dir nun erspart. Behalte sie so in deiner Erinnerung wie du sie das letzte Mal gesehen hast. Sie ist noch immer bei dir und hat ein Auge auf dich!«
       »Glaubst du das wirklich, Paul?«
       »Lange habe ich das nicht geglaubt, Ralf, aber seit einiger Zeit weiß ich, dass unsere Lieben, die vor uns gestorben sind, immer dann um uns herum sind, wenn wir an sie denken. Du denkst an sie und - husch - sind sie da! So ist es auch bei deiner Oma Jensen, ganz sicher! Da kannst du Pastor Schulz nach fragen, der versteht etwas davon.«
       »Stimmt es, dass wir, wenn wir sterben, entweder in den Himmel oder in die Hölle kommen?«
       »Hölle... so ein Quatsch! Hölle gibt es nicht. Die kann es nur hier auf der Erde geben, wenn du nicht aufpasst. Weißt du was, Ralf? Wir beide nehmen jetzt den Hund und machen einen ausgedehnten Spaziergang. Ich brauche dringend frische Luft. Und dann werde ich dir etwas erzählen, das ich noch niemandem erzählt habe und dann, das verspreche ich dir, werde ich keinen Tropfen Alkohol mehr trinken! Aber du musst auch ein wenig auf mich aufpassen, ja?«
       So zogen sie los und machten einen ausgedehnten Spaziergang durch den nahe gelegenen Wald. Ralf lauschte fasziniert, was Paul ihm aus seiner Vergangenheit anvertraute. Als sie zwei Stunden später in das Atelier zurückkehrten, war etwas Seltsames zwischen ihnen geschehen: Er, Ralf, war nun plötzlich nicht mehr der kleine Junge mit seinem großväterlichen Freund, stattdessen hatte Paul mit ihm gesprochen wie mit einem Erwachsenen - hatte ihm Geheimnisse anvertraut, die man kleinen Jungen nicht erzählte.
       Paul hatte ihn an diesem denkwürdigen Nachmittag zu seinem Vertrauten gemacht. Dadurch fühlte sich Ralf aufgewertet und er war stolz, Paul zum Freund zu haben. Hoffentlich blieb er ihm noch lange und gesund erhalten. Er wollte schon darauf aufpassen, dass Paul nichts mehr trank, wusste er doch nun, dass der Alkohol Paul schon einmal fast umgebracht hatte.
 

 

Kapitel 20
 
    Frank schien seiner Mutter gut zu tun. Sie war, seit sie das erste Mal mit ihm ausgegangen war, fröhlicher und temperamentvoller geworden. Dieser Dr. Frank Heise war wirklich kein übler Bursche. Er war plötzlich aufgetaucht und hatte sich auf ganz unkomplizierte Weise in ihre kleine Familie eingefügt. Er strotzte vor Optimismus und Power. Es stellte sich heraus, dass er nicht nur Wildwasserkanute, sondern auch begeisterter Wanderer, Wohnmobilist, Outdoorer und leidenschaftlicher Asket war: Alkohol, Kaffee und Zigaretten verschmähte er, Fleisch aß er nur selten, Schweinefleisch gar nicht.
       In China lernte er nicht nur die Praktiken der Akupunktur kennen, sondern ebenfalls die fernöstlichen Meditationstechniken. Für seine Mutter war das eine gänzlich andere und neue Welt. Wenn Frank über diese Themen sprach, lauschte sie fasziniert - mit glänzenden Augen.
       Frank war mit Ralfs Vater nicht vergleichbar. Was Ralf von Anfang an gut gefiel, dass war die Tatsache, dass Frank zuhörte, wenn man sich mit ihm unterhielt. Er hörte zu und ließ sich manchmal sehr lange Zeit eine Antwort zu geben. Nicht selten kam es vor, dass er, statt zu antworten, eine Gegenfrage stellte. Erst nach einiger Zeit fiel es Ralf auf, dass er diese so geschickt zu stellen wusste, dass Ralf sich beim Antworten, gleichzeitig selbst eine Antwort auf seine zuvor gestellte Frage gab. Ein spannendes Spiel, das sich da zwischen ihnen beiden entwickelte und immer mehr zur Perfektion heranreifte.
       Seine Schwester fuhr nicht so auf den neuen Freund ihrer Mutter ab. Sie blieb ihm gegenüber immer ein wenig distanziert, aber sie machte ihm zumindest keine Schwierigkeiten. Die Zeit ihres Herumzickens schien endgültig zu den Akten gelegt zu sein.
       Sie kam in der neuen Schule überraschend gut zurecht und legte einen passablen Realschulabschluss hin. Seit Anfang der Großen Ferien befand sie sich jetzt in einer Ausbildung zur Goldschmiedin. Sie hatte lange überlegt, in welche Richtung ihr Berufswunsch gehen sollte, hatte sich nach zwei absolvierten Praktika dann aber nicht für einen kaufmännischen Zweig sondern für das Goldschmiedehandwerk entschieden. Dabei half ihr Vitamin B, denn es war schwierig, einen Ausbildungsplatz zu finden, schließlich war die Zahl der ausbildenden Betriebe in diesem Zweig eher gering. Glücklicherweise hatte Paul seine Beziehungen spielen lassen können und Ralf eine Adresse zugesteckt, nachdem er von Nadines

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