Ich war nur kurz bei Paul
Berufswunsch erfahren hatte.
Nadine stellte sich dort persönlich vor und wurde auf Anhieb von der Chefin als Auszubildende eingestellt. Ganz begeistert berichtete seine Schwester fortan von ihrem neuen Berufsalltag. Es schien ihr wirklich gut zu gefallen, und ihre Chefin, eine extravagante Mittvierzigerin, die ihre kleine Goldschmiede in Bad Schwartau betrieb, war von nun an ihre bewunderte Ikone. Frau Häuser-Schmidt hier, Frau Häuser-Schmidt dort, jedes zweite Wort von Nadines Lippen war dieser Doppelname. Ihre Mutter freute sich darüber und fragte häufig nach diesen oder jenen Einzelheiten der Schmuckherstellung.
Eigentlich seltsam, denn Ralf hatte bei seiner Mutter bisher keinerlei Neigung zu extravagantem Schmuck feststellen können. Für Frank hingegen, war Schmuck ein völlig unwichtiger Bereich weiblicher Begierde. Unromantisch und fast brutal bezeichnete er Brillanten, Perlen und Edelsteine als Glitzertand . Primitive Völker hätten schon immer gern auffälligen Schmuck zur Schau getragen, wahrscheinlich, um von anderen körperlichen Makeln abzulenken, so lautete seine waghalsige Theorie.
Yvonne Jensen konnte sich herzhaft darüber amüsieren, wenn Frank und Nadine über Schmuck diskutierten und Nadine dann regelmäßig das Gespräch mit einem Schmollmund abbrach, wenn wieder dieses hässliche Wort Glitzertand fiel. Manchmal hatte Ralf den Verdacht, dass Frank Nadine absichtlich provozierte, vermochte aber das Motiv nicht zu erraten.
Für die Sommerferien schlug Frank eine zweiwöchige Urlaubsfahrt nach Norwegen vor. Er lobte das Land in den höchsten Tönen und war sich sicher, dass es ihnen dort auch gefallen würde. Wenn Ralf wolle, dürfe er sogar seinen Kanadier mitnehmen. Auf dem Dach des Wohnmobils sei neben Franks Kanu noch genug Platz dafür vorhanden.
Frank kannte Norwegen wie seine Westentasche. Er zeigte ihnen aufregende Fotos von unglaublichen Wildwasserflüssen inmitten unberührter Natur. Ralf war sofort Feuer und Flamme, doch seine Mutter war nicht so leicht zu überzeugen. Sie hielt ein Wohnmobil für zu klein. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass man zu dritt auf so engem Raum zusammenleben konnte.
Dafür fand Frank schnell eine Lösung und bot an, zusätzlich ein kleines Zelt mitzunehmen. Ralfs Augen wurden immer größer, je länger er den fantastischen Erzählungen Franks lauschte.
»Mutti, komm und sei kein solcher Frosch! Das wird bestimmt ganz toll! Dir wird es auch gefallen! Bitte, lass uns fahren!« Nachdem dann auch noch Frank in das leidenschaftliche Betteln und Drängen mit einfiel, stimmte sie schließlich zu. »Na gut. Ich werde es ausprobieren! Aber eine Bedingung stelle ich!«
Als sie eine kleine Spannungspause einlegte und nicht fortfuhr, drängten die Männer: »Was für eine Bedingung. Wir machen alles, aber du musst mitkommen!«
»Na gut! Ich will ja kein Spielverderber sein. Aber wir sind uns einig; wenn es länger als drei Tage regnet, gehen wir in ein Hotel oder kehren um. Ich hab keine Lust, bei Regen in so einer Konservenbüchse zu sitzen.«
»Konservenbüchse!« Frank spielte den Beleidigten.
»Wart's nur ab, Yvonne! Es wird dir gefallen. Ganz sicher!«
Die Sache war abgemacht.
Kurz vor der Abreise gab es noch eine kleine Komplikation: Paul fragte, ob Ralf noch einmal für fünf Tage auf Karlchen aufpassen könne, doch das ging nun, wegen der geplanten Norwegenreise, leider nicht. Den Hund auf die Reise mitzunehmen, stellte sich als unmöglich heraus, denn die Frist bis zur Abreise war zu knapp, um die für Hunde notwendigen Impfungen und Blutuntersuchungen beibringen zu können.
So war Ralf der rettende Gedanke gekommen, Frau Hoffmann zu fragen. Die stimmte sofort zu. Paul wusste durch Ralfs Erzählungen, dass Karlchen in erfahrenen und vor allem guten Händen sein würde. Schade eigentlich, dass Karlchen nicht mitkommen konnte - das wäre noch die Krönung gewesen, und Frank hätte anscheinend auch nichts dagegen einzuwenden gehabt.
***
Der erste Eindruck war ernüchternd. Ralf hatte sich Franks Wohnmobil wahrlich luxuriöser vorgestellt und vor allem neuer. Stattdessen kam dieser mit einem wüstentarnfarbenen Trumm mit grobstolligen Reifen und nagelndem Dieselmotor vorgefahren. Es handelte sich augenscheinlich um ein modifiziertes Militärfahrzeug. Seine Mutter hielt sich bei dem beeindruckenden Anblick tapfer, sie ließ sich ihre Enttäuschung nicht
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