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Ich war nur kurz bei Paul

Ich war nur kurz bei Paul

Titel: Ich war nur kurz bei Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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ruckartig hoch, während er noch versuchte zu Atem zu kommen, blinzelte er und erkannte Ralf.
       »Ralf? Oh, ich muss wohl eingenickt sein, oder?«
     
    Es gab keinen Zweifel: Paul war blau -- und wie!
       »Paul, geht es wieder? Komm setz dich einmal richtig auf, und komm zu dir. Du hast getrunken!«
       Paul schnaufte nur, stützte jetzt beide Unterarme auf den Tisch, bemüht, seine aufrechte Körperhaltung zu wahren. Der erste Schreck fiel von Ralf ab, hatte er doch anfangs vermutet, dass Paul vielleicht einen Herzanfall erlitten hatte - es schien jedoch nur der übertriebene Genuss des Rotweins zu sein. »Hat Karlchen schon etwas zu fressen gehabt? Es ist ja schon Nachmittag. Hast du ihm um zwölf Uhr sein Fressen gegeben?«
       »Was? Ach... hm, fressen? Weiß nich'.« Karlchen wurde bei Nennung seines Lieblingswortes sofort hellhörig und sprang Richtung Fressnapf.
       »Ja, Karlchen, ist schon gut. Ich gebe dir etwas.«
    Nachdem der Hund versorgt war, setzte Ralf Kaffeewasser auf; es schien ihm das einzig Vernünftige zu sein, um Paul wieder zu klarem Bewusstsein zu verhelfen. Als der Kaffee fertig war, er hatte ihn deutlich stärker als gewöhnlich gemacht, stellte er Paul den Becher hin und rührte ihm reichlich Kondensmilch hinein.
       »Hier trink! Damit du wieder nüchtern wirst.«
    Paul war um ein Haar schon wieder eingenickt, roch aber nun den aromatischen Kaffeeduft und blinzelte dabei wie ein alter Uhu. »Kaffee? Hm...« Er nahm den heißen Becher in die Hände und vergaß nicht zu pusten. Ralf registrierte es mit Erleichterung; Pauls Sinne und Reflexe schienen normal zu funktionieren.
       Ralf räumte während dieser Zeit den Tisch ab, goss den restlichen Rotwein in die Spüle und wischte die Tischplatte sauber. »Ich geh jetzt mit Karlchen vor die Tür und nehme den Schlüssel mit - ich bin gleich wieder zurück, okay?«
       »Is' gut, mein Junge«
    Nachdem Ralf zehn Minuten später wieder das Atelier betrat, der Hund hatte es wirklich dringend nötig gehabt, sah er, dass Paul die Zeit seiner Abwesenheit genutzt hatte, um sich ein anderes Hemd anzuziehen und sich wieder etwas herzurichten. »Na, ihr seid ja schnell zurück!« Da war sie wieder, diese veränderte, aufgesetzte Stimme. Ralf fröstelte. Was war bloß los mit seinem Freund Paul ?
       Ralf nahm sich vor, den Dingen auf den Grund zu gehen. Dafür würde der Konfirmationsunterricht heute ausfallen müssen - Paul war wichtiger und Pastor Schulz gegenüber, würde er das später sicherlich rechtfertigen können. »Paul, tu nicht so! Wir beide wissen, dass dir der Rotwein nicht gut tut. Du hast früher nie etwas getrunken, aber jetzt trinkst du dauernd. Warum?«
       Paul wich seinem Blick aus, brabbelte nur undeutlich etwas, das Ralf nicht verstand.
       »Ich hab dich nicht verstanden, Paul! Komm und setz dich hier an den Tisch, und hör auf, immer alles sinnlos von links nach rechts und zurück zu legen. Komm her!«
       Paul gehorchte, saß mit ihm nun über Eck am Küchentisch. Ralf nahm seine faltige Hand und hielt sie in seinen beiden Händen. »Paul, du weißt es noch nicht, aber meine Oma Jensen ist gestorben -- die, aus dem Pflegeheim, mit der Lungenentzündung.«
       »Was? Jungchen... « Diesmal hatte Pauls Stimme den warmen und natürlichen Klang, den Ralf so mochte.   
       »Das ist ja entsetzlich. Das, das tut mir Leid... sehr Leid sogar.«
       Eine kurze Weile war nur das Ticken der antiken Standuhr zu hören. »Und? Ist schon ein Termin für ihre Beerdigung angesetzt?«
       »Das ist es ja, Paul! Stell dir vor, sie ist schon lange beerdigt! Sie starb bereits vor zwei Monaten, und mein Erzeuger hat es nicht für nötig gehalten, uns davon etwas zu sagen!« Jetzt liefen Ralf einige Tränen über die Wangen. Paul hielt ihm sein sauberes Taschentuch hin. »Paul, du musst mit dem Trinken aufhören! Ich will nicht, dass du auch stirbst! Versprich es mir!« Gequält brach dieser Satz aus ihm hervor.
       Paul schien wie aus einer Starre zu erwachen, sein Blick wurde zunehmend klarer. »Junge, du hast so recht, ich alter Esel. Du hast so Recht... es tut mir so Leid, dass ich dich so erschreckt habe. Das, mit deiner Oma, weißt du, das ist schlimm. Aber, dass du nun nicht bei ihrer Beerdigung sein konntest, ist vielleicht sogar besser für dich. Mir geht es so, dass ich einige Beerdigungen niemals vergessen konnte, die Bilder blieben wie eingebrannt in meinem Kopf und suchten mich in meinen Träumen

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