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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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hatte.
    Ich hatte ständig Angst, daß er jeden
Moment vor mir auftauchen könnte: im Wohnzimmer, wo die Couch stand, auf der er
mich mißbraucht hatte, im Bad, wo er an mir herumgefummelt und mich geküßt
hatte, um mich »einzustimmen« auf das, was danach kam... Ich rannte aus dem
Haus. Fort, nur fort von ihm. Ich tat, was ich mich früher nie getraut hatte:
Ich lief vor ihm davon, ich ergriff die Flucht. Aber draußen wartete er schon
auf mich. Ich begegnete ihm auf dem kleinen Schotterweg oder an dem Mäuerchen, das
wir zusammen errichtet hatten. Er war überall. Genau wie früher. Sogar in den
Bäumen, den Kiefern, auf die ich mich flüchtete. Es machte keinen Spaß mehr, in
ihren Ästen zu hocken und die Gegend von dort oben zu betrachten. Ich hätte
mich am liebsten in die Tiefe fallen lassen. Ich wollte nicht mehr leben.
Vielleicht würde ich dann endlich Ruhe vor ihm haben. Nein, bestimmt nicht, er
würde mich noch im Tod verfolgen.
    Meine Mutter versuchte alles, was böse
Erinnerungen wachrufen könnte, von mir fernzuhalten. Ich durfte nicht mehr
kochen, putzen, aufräumen. Sie ließ mich nichts tun, was an meine Rolle als
kleine Hausfrau erinnerte. Zu guter Letzt schafften wir uns sogar ein neues
Sofa an, obwohl wir wirklich knapp bei Kasse waren. Dann stellten wir die Möbel
um. Aber es half alles nichts. Die Erinnerungen blieben und mit ihnen mein
Vater.
    Wenn ich vor dem Fernseher saß, war es,
als säße er wieder neben mir. Er küßte und betatschte mich. Was ich nicht
erzählt habe: Wenn meine Geschwister mit uns fernsahen, breitete Papa eine
Decke über seinen und meinen Schoß aus, damit er darunter ungestört an mir
herumfummeln konnte. Während Mama nebenan schlief und meine Geschwister
nichtsahnend neben uns auf der Couch saßen, schob er seine Hand in meinen Slip
und streichelte mich. Er tat mir weh mit seinen Fingern, und ich schämte mich
so... Aber ich sagte nichts.
    Es gelang mir nicht, die Erinnerung an
die Dinge, die in diesem Zimmer passiert waren, zu verdrängen. Mir wurde noch
immer übel beim bloßen Gedanken daran. Dieser Klumpen in meinem Bauch... Und
die Demütigung. Wenn wir am großen Tisch aßen, blieb der Platz meines Vaters
leer, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, er sitzt mir gegenüber. Er war
allgegenwärtig. Und mit ihm alles, was er mir angetan hatte.
    Wir konnten nicht länger in diesem Haus
bleiben. Es war, als läge ein Fluch darauf, so wie in manchen Filmen, wo die
Gespenster der Vergangenheit die Bewohner so lange verfolgen und quälen, bis
sie den Verstand verlieren. Für Fremde sind sie unsichtbar, aberden Bewohnern
machen sie das Leben zur Hölle. Und mich verfolgte das Gespenst meines Vaters.
    Irgendwann gaben wir auf und packten
die Koffer.
    Ich habe meinen Vater gehaßt. Mir war
klargeworden, daß ich ihn nie würde abschütteln können. Mein ganzes Leben lang
würde ich diesen Klumpen im Bauch und diese Schande mit mir herumtragen. Ich
habe ihn auch deswegen gehaßt, weil wir durch seine Schuld eine Menge verloren
hatten. Wir waren keine Familie mehr. Laury und Sandy litten unter der
Situation. Mama mußte mit allem allein fertig werden. Man hatte uns Leila
weggenommen. Wir hatten das Haus verloren. Meine Großeltern redeten nicht mehr
mit mir. Auch sie waren mit der ganzen Situation völlig überfordert. Völlig
fassungslos. Sie kannten nur die Version ihres Sohnes, der nach wie vor bei
ihnen wohnte. Und natürlich hatten wir auch ihn, unseren Vater, verloren.
    Das alles war für mich genauso schlimm
wie der Mißbrauch selbst, denn auf die eine oder andere Weise hatte er jedem
von uns geschadet. Seinetwegen haben wir alles verloren, sagte ich mir immer
wieder, seinetwegen sitzen wir jetzt in der Tinte. Das, was er mit mir gemacht
hatte, versuchte ich herunterzuspielen, indem ich mir einredete: Ich komm’
schon drüber weg. Es ist zwar furchtbar, aber ich bin schließlich nicht die einzige,
der so was passiert. Ich habe eben Pech gehabt, was soll’s! Wenn es Sandy
getroffen hätte, wäre es viel schlimmer gewesen. Es ist nun mal passiert, das
ist nicht zu ändern. Und es geht nur mich etwas an, es ist allein mein Problem.
Hauptsache, wir können endlich wieder ein normales Leben führen wie eine ganz
normale Familie, damit Laury und Sandy keinen dauerhaften Knacks bekommen... Um
die beiden machte ich mir die größten Sorgen.
    Ich selbst war am Ende. In mir war
alles zerbrochen. Ich spürte es genau. So, wie wenn man nach einem Unfall am
Straßenrand

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