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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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liegt und nicht weiß, ob man überleben wird oder nicht. Die Angst
saß tief. Aber ich wollte mir nichts anmerken lassen, ich versuchte sie zu
unterdrücken, zu ersticken. Alle sollten glauben, ich hätte es geschafft und
die ganze Sache locker weggesteckt. Meine Mutter durfte auf keinen Fall merken,
wie schlecht es mir ging. Sie befand sich ja selber in einem äußerst labilen
Zustand, sie hätte es nicht verkraftet, wenn ich zusammengebrochen wäre. Und so
habe ich eben die Starke gespielt, habe so getan, als sei das alles nicht der
Rede wert, als ließe es mich völlig kalt. Hundertprozentig funktioniert hat es
nicht, aber ich konnte mich erstaunlich gut verstellen.
    Wir landeten in einer kleinen Wohnung
in einem Vorort von Orange, nur wenige Kilometer von unserem Häuschen entfernt.
Mir brach es fast das Herz, ich hatte doch immer im Grünen, mitten im Wald,
gewohnt. Der Umzug bedeutete in jeder Hinsicht einen gründlichen Wechsel:
andere Möbel, anderes Geschirr, eine komplett neue Einrichtung. Meine Mutter
hatte sich alle Mühe gegeben, unsere Vergangenheit auszulöschen. Die
Erinnerungen ließen sich leider nicht ausmerzen. Sie folgten uns in die neue
Umgebung. Man kann eben alles austauschen, nur das nicht.
    Meine Mutter wollte uns wieder ein
Zuhause geben, eine richtige Familie aus uns machen, auch ohne Vater. Uns »neu
strukturieren«, wie sie sagte. Das wurde zur fixen Idee bei ihr. Manchmal kam
Philippe, ihr Freund, zu Besuch. Das war dann so eine Art Vorgeschmack auf
einen neuen Papa. Laury gefiel das gar nicht. Sandy hingegen, die sehr liebesbedürftig
war, akzeptierte ihn anscheinend. Mir war das ganz egal, ob er da war oder
nicht. Aber Mama brauchte ihn, seine Besuche bedeuteten viel für sie. Er war ja
der einzige, der zu ihr hielt. Die Bekannten von früher waren Freunde von
beiden gewesen. Sie wohnten alle in Papas Heimatort und hatten sich nach der
Trennung auf seine Seite geschlagen.
    Und ich? Ich war noch immer zutiefst
beschämt, hatte noch immer diesen schmerzhaften Klumpen im Bauch. Ich ließ
nichts an mich herankommen. Den Fragen meiner Geschwister versuchte ich
auszuweichen. Bloß nicht reden, damit wir nicht auf die alte Geschichte zu
sprechen kämen! Sie wollten wissen, was genau eigentlich passiert war. Sie
verstanden das alles nicht. Ich aber hatte ein schlechtes Gewissen, ich fühlte
mich schuldig. Also kapselte ich mich ab. Ich hatte keine große Lust, mich in
die Familie zu integrieren, die Mama aufzubauen versuchte. Familie ist etwas
Schönes, es bedeutet aber auch Fragen, Neugier, Anteilnahme, wenig
Privatsphäre.
    Ich wollte in Ruhe gelassen werden.
Deshalb stellte ich den Fernseher in mein Zimmer. Ich saß stundenlang vor der
Glotze, ganz allein. Das hinderte mich daran, dauernd meinen trübsinnigen
Gedanken nachzuhängen. Aber irgendwann mußte ich notgedrungen auch mal raus aus
meinem Zimmer, und dann begegnete ich meiner Mutter und meinen Geschwistern.
Ich ertrug weder ihre Blicke noch ihre Fragen und schon gar nicht ihr Mitleid.
Wenn ich mit ihnen hätte reden wollen, hätte ich ihre Nähe gesucht. Aber ich
konnte einfach nicht. Dabei haben sie mir nie irgendwelche Vorwürfe gemacht
oder mich gar beschimpft, wie es mir im Heim passiert ist. Trotzdem: Ich wollte
allein sein mit meinen Problemen.
    Keiner verstand, weshalb ich so still,
so aggressiv, so verschlossen war. Ich wiederum fand, sie kümmerten sich alle
viel zuviel um mich, und wünschte mir, sie würden nicht ständig so ein Theater
um mich machen. Wer konnte denn wirklich nachempfinden, was ich durchgemacht hatte?
Niemand! Dachte ich jedenfalls.
    Einmal waren wir alle bei einer
Bekannten meiner Mutter eingeladen. Im letzten Augenblick machte ich einen
Rückzieher und weigerte mich mitzugehen. Ich hatte Angst vor der Begegnung mit
Fremden. Ich blieb allein zu Haus. Da rief die Bekannte an und fragte, wie es
mir ginge. »Ich weiß, daß du große Probleme hast. Wenn du willst, können wir
uns gern darüber unterhalten. Warum kommst du an einem der nächsten Samstage
nicht einfach mal vorbei?«
    Statt einer Antwort knallte ich wütend
den Hörer auf die Gabel. »Warum könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen? Ich will
nicht darüber reden! Das geht nur mich etwas an! Wann kapiert ihr das endlich?«
In diesem Moment dachte ich wieder ans Sterben. Dann wäre endlich Ruhe, sagte
ich mir.
    Unser Zusammenleben unter diesen
Umständen war wirklich nicht leicht. Daher flüchtete ich bei jeder sich
bietenden Gelegenheit aus der

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