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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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hatte. Und die neue Nelly brauchte sie mehr
denn je. Früher, bevor ich ins Heim kam, hatten wir nie so offen miteinander
reden können. Zum Schluß fragte ich sie noch: »Dann hast du mich also wirklich
lieb?« Sie drückte mich fest an sich. »Ich liebe dich mehr als mein Leben.«
    Ihr wurde klar, daß ich bis zuletzt an
ihrer Liebe gezweifelt hatte. Ich hatte den ganzen Unsinn, den mein Vater mir
aufgetischt hatte, geglaubt. Bei den Schulden, die sie angeblich gemacht hatte,
handelte es sich schlicht um Stromrechnungen, die bezahlt werden mußten. Und
das war nur ein Beispiel von vielen.
     
    Drei Monate war ich jetzt schon im
Heim! Und genauso lange wartete ich darauf, wieder nach Hause zu dürfen.
Endlich bekam ich einen Termin bei Monsieur Picard, dem Richter. Ich fuhr nach
Avignon zum Gericht, einem alten, dunklen Gebäude im Stadtzentrum. Monsieur
Picard erwartete mich in einem kleinen Zimmer am Ende eines Flurs. Er war ein
großgewachsener, breitschultriger Mann mit weißen Haaren. Er forderte mich auf,
Platz zu nehmen, blieb selbst aber stehen. Ich war erst ein wenig befangen.
Immerhin entschied er über meine Zukunft. Ich mußte mir genau überlegen, was
ich sagte. Von meinen Antworten würde es abhängen, ob ich im Heim bleiben müßte
oder nicht. Ich war auf der Hut.
    Dann setzte er sich, und meine Angst
war plötzlich wie weggeblasen. Ich hatte keinen Richter mehr vor mir, sondern
einfach einen sehr netten, sanften Mann, zu dem ich Vertrauen hatte. Wir
unterhielten uns nicht über den Tatbestand, also weder über meinen Vater noch
über die Geschichte an sich. Wir redeten nur über das Heim. Das sei nichts für
ein Mädchen meines Alters, sagte ich ihm, es nütze überhaupt nichts, mich dort
einzusperren, außerdem dürfe ich nicht für etwas bestraft werden, das ich nicht
getan hatte, mich treffe doch gar keine Schuld. Ich erzählte ihm auch von
meiner Mutter und den langen Stunden, die ich mit Grübeln und Weinen zubrachte,
weil ich nicht verstand, warum man mich nicht nach Hause gehen ließ.
    Ich hatte offensichtlich den richtigen
Ton getroffen, denn als ich geendet hatte, meinte er: »Ich denke, ich kann
etwas für dich tun.« In dem Moment wäre ich ihm am liebsten um den Hals
gefallen! Was ich natürlich nicht tat, aber ich war wirklich außer mir vor
Freude. »Du wirst bald nach Hause zu deiner Familie zurückkehren können«,
versprach Monsieur Picard.
    Ich dachte an meine Mutter und an meine
Geschwister. Frei! Endlich frei! Ich konnte es kaum erwarten, wenngleich mir
bei dem Gedanken an Papa ziemlich mulmig war. Er wohnte nach wie vor bei
Großmutter Mireille im Dorf. Ob er versuchen würde, Kontakt zu mir aufzunehmen?
Würde er mir nachstellen?
     
    Am 6. September 1990 verließ ich das
Heim, in dem ich seit Mai untergebracht war. Monsieur Picard hatte eine
Bedingung an meine Entlassung geknüpft: Gemeinsam mit Mama, Laury und Sandy
mußte ich einen Pädagogen im Gesundheitsamt aufsuchen. Die ganze Familie sollte
sich einer Psychotherapie unterziehen, die uns alle wieder ins Lot bringen
sollte. Ein ganzes Jahr hat diese Therapie gedauert. Wir haben nie recht daran
geglaubt. Vielleicht ein Fehler, wer weiß.
    Der Therapeut malte kleine Figuren auf
eine Wandtafel. Sie stellten Papa, Mama, Nelly, Sandy und Laury dar. Dann
erklärte er meinen Geschwistern, was »Papa mit Nelly gemacht« hatte. Ich
weigerte mich, darüber zu reden. Ich hatte keine Lust, meine Geschichte einem
Wildfremden zu erzählen, schon gar nicht jemandem, der fürs Zuhören bezahlt
wurde. Und ich wollte auch nicht vor Laury und Sandy, die das alles nicht
verstanden, darüber sprechen. Es war allein meine Geschichte.
    Daraufhin wurde ich zu einer
Einzeltherapie zu einem Psychiater geschickt. Der redete mit mir wie mit einer
geistig Minderbemittelten. Nachdem ich mir sein Gerede eine Weile angehört
hatte, wurde es mir zu dumm, und ich erklärte ihm: »Ich habe Ihnen nichts zu
sagen!«
    Das war einfach nicht mein Ding. Ich
wollte leben, nichts weiter. Einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen.
Die gräßlichen Bilder in meinem Kopf vergessen. Ich wollte nicht, daß auf einer
Wandtafel dargestellt wird, was Papa mit Nelly gemacht hatte. Ich wollte
genießen, was von meiner Jugend noch übriggeblieben war. Ich wollte so sein wie
alle Mädchen meines Alters. Aber war das überhaupt möglich?
    Ich war völlig aus dem Gleichgewicht
geraten und total depressiv. Aber ich ließ nichts nach außen dringen, ich tat
alles, damit

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