Ich war seine kleine Prinzessin
Tochter, du
darfst mich nicht denunzieren. Ein Kind hat nicht das Recht, den eigenen Vater
zu verklagen.«
Das war wirklich eine problematische
Situation, der Richter hätte doch daran denken müssen, daß ich meinen Vater
sehen konnte, daß ich überhaupt nur noch ihn sah. Er war immer dagewesen, und
er würde immer dasein, um mich spöttisch lächelnd daran zu erinnern, was
geschehen war, um mich am Reden zu hindern...
Zu guter Letzt beantwortete ich die
peinliche Frage aber doch. Mit tränenerstickter Stimme flüsterte ich ins
Mikrofon: »Mein Vater hat mich mit der Hand befriedigt. Einmal hat er sich
darüber beklagt, daß er alles tue, damit es schön für mich sei, während ich mir
überhaupt keine Mühe gäbe. Er verlangte, daß ich ihn auch streichelte und mit
der Hand befriedigte...« Ich hatte es geschafft, vor aller Welt diese Aussage
zu machen. Ich fühlte mich gedemütigt, ich heulte, aber ich hatte es geschafft.
Mein Anwalt bat darum, mir weitere
Fragen stellen zu dürfen. Da muß sich mein Vater gesagt haben: Das war’s dann
wohl. Aus und vorbei. Er senkte den Kopf. Wir hatten die Rollen getauscht. In
diesem Augenblick gewann ich die Oberhand. Ich redete mir alles von der Seele,
warf den ganzen Ballast ab. Ich sagte aus, daß er mich vergewaltigt hatte, daß
ich nie damit einverstanden war und daß er mich mehrfach zum Geschlechtsverkehr
gezwungen hatte. Ich erwähnte auch seine Drohungen für den Fall, daß ich mit
irgend jemandem darüber sprechen würde. Einiges verschwieg ich, aber es war
auch so schon genug.
Dann forderte mein Anwalt mich auf, die
Geschichte mit den Zetteln zu erzählen. Ich warf ihm einen bittenden Blick zu,
in der Hoffnung, er würde mir das ersparen. Aber er bestand auf einer Antwort.
Ich fügte mich und schilderte den Vorfall. Einmal hatte ich mit drei
gleichaltrigen Freunden unweit der Schule ein Pfänderspiel gespielt. Wer einen
Fehler machte, mußte eine Aufgabe erfüllen, die wir auf einem Zettel notiert
hatten, zum Beispiel jemandem einen Kuß geben oder sich an die Brust fassen
lassen. Alles ganz harmlos. Ich war zwölf und fand das irre komisch. Als ich
meinem Vater davon erzählte, machte er mir eine unbeschreibliche
Eifersuchtsszene. Er beschimpfte mich als »Miststück«, »Nutte« und dergleichen
mehr. Das verschwieg ich allerdings vor Gericht.
Anschließend zeigte mein Anwalt den
Geschworenen Fotos von mir aus der Zeit, als mein Vater mich mißbrauchte, damit
sie sahen, daß ich ein kleines Mädchen war, das mit Barbie-Puppen spielte.
Nach zehn Minuten durfte ich den
Zeugenstand verlassen. Zehn Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorgekommen
waren, die aber alles änderten. Ich kehrte an meinen Platz zurück. Ich weinte
noch immer. Meine Mutter nahm mich tröstend in die Arme. Mein Vater blickte zu
mir herüber. Um seine Mundwinkel spielte nach wie vor dieses Lächeln. Er machte
den Eindruck, als berührte ihn das alles gar nicht mehr. Es schien ihn auch
nicht zu stören, daß unser Leben vor aller Welt ausgebreitet wurde.
Die Verhandlung war damit beendet, das
Gericht vertagte sich auf den folgenden Tag. Ich hatte es überstanden. Aber der
Prozeß ging weiter.
Am zweiten Verhandlungstag hörte ich
zum erstenmal, was mein Vater unmittelbar nach seiner Festnahme auf der
Polizeiwache in Orange ausgesagt hatte. Das war wirklich widerlich. Und mir
hatte er tags zuvor noch leid getan! Dabei hatte Mama mich gewarnt: »Dein Vater
wird dir nichts ersparen. Er will seine Haut retten und wird nicht davor
zurückschrecken, dich hineinzureiten.« Ich hatte ihr nicht glauben wollen. Aber
genau so kam es.
Mein Vater hatte, um dem Gefängnis zu
entgehen, alles auf mich abgewälzt. Ich sei zu ihm ins Bett geschlüpft,
behauptete er, und habe ihn aufgefordert, mit mir zu schlafen. Er habe das gar
nicht gewollt, aber ich hätte ihm keine Ruhe gelassen. Mit zwölf Jahren,
wohlgemerkt! Solchen Unsinn, solche Lügen hatte er zu seiner Verteidigung
erzählt. Ich hätte ihn provoziert, ihn angemacht und so weiter. Nichts als
Unwahrheiten und lächerliche Unterstellungen. Es war ekelhaft.
Ich machte mir bittere Vorwürfe. Warum
hatte ich im Zeugenstand nicht die ganze Wahrheit gesagt? Warum hatte ich nicht
in allen Einzelheiten geschildert, wie es wirklich abgelaufen war? Warum hatte
ich das eine oder andere verschwiegen?
Ich hatte einen Wahnsinnshaß auf meinen
Vater. Er, dieser Mistkerl, hatte keine Skrupel gehabt, mich zu belasten. Alles
hängte er mir an, nur um seine
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