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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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hätte sicher ein schlimmes Ende für uns alle
genommen. Wer weiß, vielleicht hätte mein Vater früher oder später auch noch
meine Schwester mißbraucht.
    Ich blieb mit den Beamten allein im
Zimmer. Dann wurden auch sie aufgerufen, um ihre Aussage zu machen. Jetzt
leistete mir nur noch ein Herr vom Gericht, den ich nicht kannte, Gesellschaft.
Ich wartete und wartete. Ich hatte Angst. Ich stand auf, trat ans Fenster,
setzte mich wieder hin. Aber ich konnte nicht stillsitzen, ich war so nervös.
Ich kriege bestimmt kein Wort heraus, dachte ich. Plötzlich hatte ich Panik:
Ich kann mich gar nicht mehr an alles erinnern! Wie soll ich die richtigen
Worte finden, um zu erklären, was passiert ist? Da sind Dinge dabei, über die
ich auf keinen Fall sprechen will. Dann wieder redete ich mir ein, mir würde ja
doch niemand glauben; ihm, dem Erwachsenen, würden sie sicher zuhören, aber
mir? Ich machte mich ganz verrückt, mir war schlecht. Wenn doch Mama dagewesen
wäre! Oder meine Musiklehrerin. Oder mein Anwalt.
    Als ich endlich an die Reihe kam und
den Gerichtssaal betrat, drehten sich alle zu mir um und schauten mich an.
Sogar mein Vater. Aber er sah mich nicht boshaft an, so als wollte er sagen:
»Hättest du eben den Mund gehalten...«, sondern ganz gelassen und spöttisch
lächelnd. Als hätte er sich damit abgefunden, vor Gericht zu stehen. Ich blickte
zu Boden. Langsam ging ich nach vorn. Ich schaffte es immerhin bis zum
Zeugenstand, soviel Kraft hatte ich. Es war nicht leicht vor den vielen Leuten,
die mich beobachteten, vor all den Neugierigen, den Richtern, den Journalisten,
vor meinem Vater, meiner Großmutter, meinem Großvater, der ganz mitgenommen
aussah, so als wäre der Himmel über ihm eingestürzt, und Tränen in den Augen
hatte. Ich mochte ihn wirklich sehr, meinen Großvater.
    Ich klammerte mich mit beiden Händen an
den Zeugenstand. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sich meine Fingernägel ins
Holz gebohrt hätten, so verkrampft war ich vor lauter Angst. Ich hob den Kopf.
Das schaffte ich auch noch. Ich betrachtete die Richter, eindrucksvolle
Gestalten in ihren weiten, roten und schwarzen Roben.
    Einer von ihnen fragte: »Wie geht es
dir inzwischen? Hast du das schreckliche Erlebnis verkraftet?« Und ich Idiot,
was mache ich? Ich stehe da und schweige. Obwohl ich meinen Vater haßte, wollte
ich ihn schützen. Ich weiß auch nicht, wieso, vielleicht weil wir uns im
gleichen Raum befanden, vielleicht weil wir vor Gericht standen. Ich weiß es
nicht. Ich war total blockiert. In meinem Kopf herrschte absolute Leere. Ich
hatte alles verdrängt.
    Schließlich stammelte ich: »Ja, ja, mir
geht’s gut... Alles bestens.«
    Ich brachte es nicht fertig, über meine
Probleme zu reden, über die vielen Dinge, die bewiesen, daß ich das Erlebte
noch längst nicht verkraftet hatte. Ich sprach weder über meine Alpträume noch
über meine Selbstmordversuche, ich sagte nichts davon, daß ich überall meinen
Vater zu sehen glaubte, nichts davon, daß ich die Schule nicht mehr schaffte,
nichts davon, daß meine Geschwister völlig verstört waren... Ich blieb stumm.
Ich konnte doch nicht in fünf Minuten erklären, was wirklich los war, während
diese Richter, die mir Respekt einflößten, auf mich herunterschauten, während
mein Vater triumphierend grinste und seine Freunde und alle diese fremden
Menschen mich anstarrten. Das überstieg meine Kräfte. Ich war dem nicht
gewachsen. »Ja, ja, mir geht’s gut... Alles bestens.« Mehr war nicht aus mir
herauszubringen. Völlig kaputt, die Kleine, aber es ging ihr bestens.
    In diesem Augenblick bekam mein Vater
wieder Oberwasser. Meine Verschlossenheit gab ihm Auftrieb, wirkte wie ein
Aufputschmittel auf ihn. Er beobachtete mich aus dem Augenwinkel heraus, wie
wenn er mich warnen wollte: »Halt bloß den Mund!« Genau das hatte ich ja
gemacht, er konnte zufrieden sein. Bestimmt dachte er: Sehr gut, ich hab’ sie
immer noch im Griff. Oder jedenfalls etwas in der Art.
    Zum Glück hat meine Mutter gemerkt, daß
da etwas nicht stimmte. Sie sprach mit meinem Anwalt. Er kam mir sofort zu
Hilfe. Er trat neben mich und stellte mir eine wirklich indiskrete Frage. Ganz
laut, so daß alle es hören konnten. Da fing ich an zu weinen. Ich wollte nicht
darauf antworten, ich genierte mich vor all den Leuten.
    Ich wandte mich meinem Anwalt zu.
Hinter ihm, auf der Anklagebank, sah ich meinen Vater. Er lächelte
selbstsicher. »Sag nichts«, las ich in seinem Blick. »Du bist meine

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