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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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eine
ruhigere Ecke. Mir ging es überhaupt nicht gut. Ich spürte, es würde nicht mehr
lange dauern, bis ich zusammenklappen und anfangen würde zu heulen. Nur das
nicht, nicht jetzt, nicht vor allen Leuten, sagte ich mir. Im gleichen
Augenblick sah ich meinen Vater. Er wurde von zwei Polizeibeamten in den Saal
geführt. Mir zitterten die Knie bei seinem bloßen Anblick. Obwohl er weit weg
war, konnte ich genau wie früher in seinen Augen lesen: »Sag nichts, kein Wort.
Ein kleines Mädchen muß zu seinem Papa halten, es darf ihn nicht verraten.« Ich
hatte ihn seit einer Ewigkeit nicht gesehen, aber das war es, was sein Blick
mir sagen wollte.
    Endlich kamen unsere Anwälte. Wir zogen
uns in ein kleines Büro zurück, wo wir eine Zigarette rauchten und über dies
und jenes plauderten. Allmählich fiel die Nervosität von uns ab, und wir
entspannten uns ein bißchen. Marc Geiger und Odile Ducret erklärten uns, wie
die Verhandlung ablaufen würde.
    Als ich aus dem Büro trat, blieb ich
wie angewurzelt stehen und machte dann unwillkürlich einen Schritt rückwärts,
so viele Leute füllten den Flur. Alle Blicke waren auf mich gerichtet.
Neugierig starrten sie mich an. Diese Menschen seien keineswegs gegen mich,
versuchte mein Anwalt mich zu beruhigen. Eine öffentliche Verhandlung locke
immer Neugierige an, zumal wenn es um Inzest und Totschlag (der Obdachlose, der
einen Mann umgebracht hatte) ging, das seien eben Fälle, die viel
Aufmerksamkeit erregten und jeden Gerichtssaal füllten. Überzeugt hat mich das
nicht.
    Die Geschworenen setzten sich aus fünf
Männern und vier Frauen zusammen. Im Gegensatz zu den Richtern und den Anwälten
trugen sie, was mich überraschte, keine Roben, sondern normale Kleidung. Auch sie
musterten mich. Ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte. Lächeln?
Weinen? Mir war ganz mulmig zumute, und mein Unbehagen wuchs mit jedem
Augenblick. Ich fühlte mich beobachtet, belauert. In wenigen Minuten würde ich
meine Geschichte erzählen müssen. Und mein Vater würde auch aussagen und
behaupten, ich sei schuld an allem. Nachdem sie uns beide angehört hätten,
würden sie sich ein Urteil bilden. Wie würde es ausfallen? Eine Gefängnisstrafe
oder die Freiheit für meinen Vater? Ein Schuldspruch für mich, mit der
Begründung, ich sei eine kleine Lügnerin? Solchen Unsinn dachte ich, so sehr
war ich durch das Gerede der Leute verunsichert worden.
    Die Türen gingen auf. Am anderen Ende
des großen Saals befand sich ein Podest für die Richter. Seitlich daneben, ein
wenig schräg, die Geschworenenbank. So ein Gerichtssaal ist schon
beeindruckend. Und dieser ganze Aufwand nur meinetwegen! Das machte mir angst,
beruhigte mich andererseits aber auch, zeigte es doch, daß sexueller Mißbrauch
von Kindern ein Vergehen war, das nicht auf die leichte Schulter genommen
wurde. Dann nahmen alle ihre Plätze ein. Das war ganz merkwürdig, fast wie im
Kino. Meine Mutter und ich kamen uns ein bißchen verloren vor. Schließlich
setzten wir uns rechts vom Mittelgang ganz an den Rand. Jetzt wurden
nacheinander die Geschworenen aufgerufen. Erschrocken stellte ich fest, daß es
mehr Männer als Frauen waren. Ich dachte, das würde die Sache erschweren, denn
vor Männern, vor fremden Männern, über intime Dinge zu sprechen, stellte ich
mir ziemlich schwierig vor.
    Mein Anwalt beruhigte mich: »Keine
Sorge, sie werden dich verstehen. Nicht du stehst unter Anklage. Du bist
lediglich Zeugin und machst deine Aussage, das ist alles.« Aber es handelte
sich immerhin um meine Geschichte! Ich war doch die Hauptbetroffene. Und dann
all die Gerüchte über mich... Und die versammelte Clique meines Vaters...
    Ich setzte mich wieder neben meine
Mutter an den Rand des Mittelgangs. Der Saal war voll: Anwälte, Sekretärinnen,
Schaulustige, Reporter... Viel zuviel Menschen. Meine Großeltern und die
anderen drehten sich dauernd um und musterten mich feindselig. Ich konnte ihre
Blicke förmlich spüren. Ich preßte die Lippen zusammen. Ich sagte nichts. Ich
saß da mit gesenktem Kopf und traute mich nicht aufzuschauen. Ich konnte
einfach nicht. Ich hatte eine Mordswut im Bauch. »Mama, gib mir deine Hand! Laß
mich bitte nicht allein, Mama!«
    Als mein Vater hereingeführt wurde,
brach ich in Tränen aus. Ich weiß auch nicht, warum. Ich hätte nie gedacht, daß
ich nach drei Jahren noch weinen würde. Aber wie ich ihn so aus allernächster
Nähe sah... Und dann trug er Handschellen und wurde von zwei

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