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Ich war seine kleine Prinzessin

Ich war seine kleine Prinzessin

Titel: Ich war seine kleine Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly
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freisprechen würden? Ich hätte es nicht
sagen können.
    Der Richter verlas das Urteil. »Der
Angeklagte wird zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.« Ich war
enttäuscht. Fünf Jahre! Was sind schon fünf Jahre, wenn einem zudem noch ein
Teil der Strafe erlassen wird, dachte ich.
    Das Gericht sprach mir außerdem einen
Schadensersatz in Höhe von 60 000 Francs zu. Das reichte zwar nicht, um meine
Erinnerungen auszulöschen — nicht einmal eine Milliarde brächte das fertig! — ,
aber es diente immerhin dazu, der Öffentlichkeit zu demonstrieren, daß ein
Schaden entstanden war.
    Unmittelbar nach der Urteilsverkündung
sprang ich auf und eilte zur Tür. Die Tränen liefen mir übers Gesicht, ich war
bis ins Innerste aufgewühlt. Es war vorbei.
    Mein Großvater warf mir einen
feindseligen Blick zu. Ich verstand ihn nicht mehr. Anfangs war er auf meiner
Seite gewesen. »Dein Vater hat eine Dummheit gemacht«, hatte er zu mir gesagt,
»und dafür muß er bestraft werden. Das ist nur gerecht.« Aber jetzt schien er
sich gegen mich gewendet zu haben. Dabei war er ein wirklich anständiger Mann,
mein Großvater. Und ich weiß, daß er mich sehr gern gehabt hat. Ich war sein
ganzer Stolz gewesen.
    Bevor ich den Saal verließ, streifte
ich meinen Vater mit einem raschen Blick. Ich konnte nicht anders. Er lächelte
mir zu. Er wirkte irgendwie erleichtert, so als wäre er froh, daß dieser Prozeß
stattgefunden hatte. Ich weiß nicht, warum. Ich jedenfalls hatte mich nicht
wohl gefühlt in meiner Haut. Es gab keinen Grund zum Jubeln. Keinen Grund,
stolz zu sein. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß ich diejenige war, über die
gerichtet wurde.
    Aber jetzt war es vorbei. Das Gericht
hatte meine Unschuld festgestellt, mich reingewaschen von dem Verdacht, die
Vergewaltigung provoziert zu haben. Das war die Hauptsache. Und ich war
überzeugt, nach diesem Urteil würden die Gerüchte verstummen. Ich würde nicht
länger die kleine Schlampe sein, die ihren Vater angemacht hat. Endlich würde
ich einen Schlußstrich unter die ganze Geschichte ziehen und den Leuten wieder
ins Gesicht blicken können. Niemand würde mich jetzt noch schräg ansehen. Ich
war wieder ein Mädchen wie alle andern. Dafür bedanke ich mich bei Ihnen, Hohes
Gericht, und bei Ihnen auch, meine Damen und Herren Geschworenen!
     
    Am anderen Tag berichtete die Presse
auf der Titelseite über unseren Fall. »Fünf Jahre Gefängnis für den Vater, der
seine Tochter sexuell mißbraucht hat« lautete eine Schlagzeile. Ich las alle
Artikel, um mich zu vergewissern, daß die Leute endlich über den wahren
Sachverhalt aufgeklärt wurden. Einige ausführliche Berichte habe ich
aufgehoben, zum Beispiel den, in dem es hieß: »Der Angeklagte, ovales Gesicht,
Oberlippenbart, braunes, leicht zerzaustes Haar, schien sehr zuversichtlich,
was den Ausgang der Verhandlung betraf...«
    Bis dahin war alles in Ordnung. Es
folgte eine Schilderung des Prozeßverlaufs. Und dann plötzlich der Schock. Der
Journalist gab nämlich die Aussage meines Vaters vor Gericht wieder:
    »›Ich habe nur dem Drängen meiner
Tochter nachgegeben. Wenn meine Frau sich hingelegt hatte, kam sie zu mir und
küßte mich und schmuste mit mir. Da habe ich eben mit ihr geschlafen... Abends,
wenn ich nach Hause kam, erwartete sie mich schon, im Nachthemd, und darunter
war sie nackt. Ich sagte: Nein, das ist nicht richtig, du weißt doch, wohin das
führt. Aber sie wollte nicht hören und lief mir ins Wohnzimmer nach.‹«
    Obwohl mein Vater verurteilt worden
war, hatte die Zeitung seine Verleumdungen abgedruckt. Ich war am Boden
zerstört. Ich heulte vor Wut und Verzweiflung. Da ich meine Aussage unter
Ausschluß der Öffentlichkeit gemacht hatte, stand natürlich nichts darüber in
der Zeitung. Es war ein Fehler gewesen, hinter verschlossenen Türen zu
sprechen. Mein Vater hatte als Angeklagter nicht die Möglichkeit gehabt, einen
Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit zu stellen, folglich hatte jeder hören
können, was er zu sagen hatte.
    Sicher, er war verurteilt worden, aber
meiner Meinung nach würden die Leute nur eins im Gedächtnis behalten: seine
Anschuldigungen, seine Verleumdungen. »Ich habe nur dem Drängen meiner Tochter
nachgegeben...« Der Gedanke, ich hätte meinen Vater verführt, würde sich in
ihren Köpfen festsetzen. Seit drei Jahren ging das Gerücht um, und jetzt stand
es schwarz auf weiß in der Zeitung. Alle würden es lesen. Und alle würden es
glauben. Ich

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