Ich war seine kleine Prinzessin
ihm dazu einfiel, war das! »Aber nein, wie kommst du
darauf?« stammelte ich. »Doch nicht in meinem Alter. Nein, ich bin von der
Schule geflogen. Für drei Tage.«
Da lachte er und meinte: »Das ist doch
nicht schlimm. Dann bleibst du eben zu Hause.« Er war überhaupt nicht böse
wegen des Schulverweises. Aber die Vorstellung, daß ich mit Jungen zusammen
war, ertrug er nicht. Einen Freund durfte seine Kleine nicht haben.
Er sprach über viele persönliche Dinge
mit mir, zum Beispiel über seine Arbeit. Meistens aber ging es um ihn und Mama.
Ich war so eine Art Vertraute für ihn. Er erzählte mir seine Geheimnisse, wie
ich ihm einige von meinen anvertraute. Bald redete er mit mir, als könnte ich
alles verstehen, als wäre ich eine Erwachsene, eine Freundin oder seine Mutter,
aber nicht seine kleine zwölfjährige Tochter. Er sprach von den Rechnungen, die
er nicht mehr bezahlen konnte, von den Schulden für unser Haus. Und er gab
meiner Mutter die Schuld daran, daß das Geld nicht reichte. »Deine Mutter ist
nicht sehr nett, weißt du. Ständig gibt sie Geld aus für alles mögliche, Essen,
Kleidung und so. Wie soll ich das alles bezahlen? Ich schaff’ das nicht mehr.«
Diese Gespräche wurden immer
vertrauter, und bald ging es um intimere Dinge. Er war überzeugt, daß meine
Mutter ihn betrog. Das wurde zu einer fixen Idee. Er sprach von nichts anderem
mehr. Er fragte mich, was ich davon hielt, und ob ich etwas wüßte. Natürlich
wußte ich nichts, weil es nichts zu wissen gab...
Während er mir alles anvertraute,
schenkte er meinem Bruder und meiner Schwester kaum Beachtung. Er nahm sie nie
irgendwohin mit. Meine Mutter sagte manchmal zu ihm: »Warum gehst du nicht ein
bißchen spazieren mit deinem Sohn? Nimm ihn doch mit auf die Jagd!«
Nichts zu machen, Papa weigerte sich.
Er ging lieber mit mir in den Wald. Mit mir schmuste er, mich kitzelte er.
Meinen Bruder und meine Schwester ließ er links liegen. Das machte die Ärmsten
ganz krank. Aber ich war nun mal Papas Liebling, daran war nicht zu rütteln. Er
versicherte mir auch, ich sähe Mama ähnlich, und sagte, ich würde ein
bildhübsches junges Mädchen werden.
Zum Geburtstag bekam ich immer ein
Geschenk von ihm. Meinen vergaß er nie, den meiner Mutter und meiner
Geschwister schon. Ich hielt das trotz allem für normal; mein Vater liebte sein
Töchterchen eben. Ich weiß nicht, was dann auf einmal in ihm vorgegangen ist.
Jedenfalls veränderte er sich. Alles veränderte sich, und meine glückliche
Kindheit hatte ein Ende.
Beinah unmerklich nahm unser Leben eine
Wendung. Eine Art Krankheit schlich sich ein, ganz allmählich und mehr oder
weniger unaufhaltsam. In mein kleines rosarotes Haus im Wald, in unser
bescheidenes Häuschen, das ich so sehr liebte, zog das Unglück ein.
Ich habeMama nicht mehr lieb
Mein Vater liebte meine Mutter sehr,
aber es war eine merkwürdige Art von Liebe, eine verborgene Liebe. Papa war
nicht der Typ, der einer Frau Blumen schenkt, ihr sagt »ich liebe dich« oder
ihr Gedichte vorliest. Mein Vater hatte keinen Sinn für Romantik. Aber ich
weiß, daß er Mama liebte, er hat es mir gesagt. Selbst nach seiner
Wahnsinnstat, als er auf der Gendarmerie in Handschellen vor ihr stand, sagte
er zu ihr: »Ich werde dich immer lieben. Ich bereue, was ich getan habe. Ich
liebe dich.«
Er hat sie immer geliebt, aber nicht
auf eine sichtbare Art und Weise. Ich habe nie beobachtet, daß sie sich geküßt,
miteinander gescherzt oder gelacht hätten. Ich glaube, daß diese
Distanziertheit für die weitere Entwicklung der Dinge nicht unwesentlich war.
Papa hatte das Gefühl, Mama liebe ihn
nicht, und er litt sehr darunter. Mir tat es weh, ihn so traurig und
niedergeschlagen zu sehen. Im Grunde meines Herzens gab ich meiner Mutter die
Schuld daran, daß Papa unglücklich war. Das nahm ich ihr sehr übel. Auf den
Gedanken, mein Vater könnte im Unrecht sein, kam ich gar nicht.
Bevor Papa mir das alles gesagt hatte —
daß Mama ihn nicht liebte, daß sie ihn betrog (was nicht stimmte), daß sie
nicht mehr miteinander intim waren (er vertraute mir wirklich alles an) — ,
hatte ich meine Mutter sehr gern gehabt. Danach kühlte unser Verhältnis
merklich ab. Ich hatte kein Vertrauen mehr zu ihr. Ich zweifelte an ihr. Das
brachte mich meinem Vater noch näher, denn irgend jemand mußte den Verlust ja
ausgleichen. Je größer also die Kluft zwischen mir und meiner Mutter wurde,
desto enger wurde das Verhältnis
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