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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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davon zu
sprechen? Weil nicht nur der andere allein widerwärtig ist. Er macht Sie
widerwärtig. Deswegen schreit man nicht, brüllt nicht, nimmt nicht irgendeinen
Gegenstand, um auf ihn einzuschlagen. Hätte ein Unbekannter versucht, mir das
auf der Straße oder sonstwo anzutun, ich hätte Radau gemacht. Aber es war mein
VATER! Ich haßte ihn. Ich haßte diese Waschmaschine wie eine eigenständige
Person. Ich haßte mich, wie ich darauf saß, ihm ausgeliefert, und nichts tun konnte,
um ihn abzuwehren. Nichts.
    Ich wurde verrückt auf dieser
verdammten Waschmaschine.
    Wie automatisch streichelt er die Haut
meines Körpers, er betrachtet gerührt meine Brust. Und mir tut die Haut weh.
    Jetzt streichelt er ganz sanft sein
Glied. Er lächelt. Dann reibt er es immer schneller, wobei er dieses gräßliche
Ding bewegt, das ich nie zuvor gesehen habe. Ich sehe ein Bild darauf. Es hat
eine Tätowierung, ein komisches Bild, so etwas wie ein Spieß, schwarz oder
blau.
    Die Stille, das Geräusch dieser Handbewegung.
Meine Augen darauf geheftet.
    »Leg dich hin!«
    Ich lege mich wortlos hin. Ich habe
noch mehr Ekel vor ihm, als wenn er mich schlagen würde. Ich zittere, ich fühle
es, mein ganzer Körper zittert auf dem Metall. Ich müßte ihm ins Gesicht
spucken. Aber ich schäme mich. Schäme mich ganz entsetzlich. Er kommt heran,
beugt sich vor und führt dieses schmutzige Etwas in meinen Bauch ein.
    Ich schwöre, daß das Wort Liebe in
dieser Sekunde aus meinem Leben verschwunden ist. Als er mir das antat, bin ich
in tausend Stücke zersprungen. Am liebsten hätte ich alle Teile meines Körpers,
die er berührt hatte, herausgerissen. Er ist eben in sein zwölfeinhalbjähriges
Kind eingedrungen. Er hat ein Verbrechen begangen, hat gleichzeitig gegen alle
Gesetze verstoßen. Ich sehe mich wieder, auf die Ellenbogen gestützt, in
Qualen, mit Brechreiz, halbtot vor Angst mit einem einzigen Gedanken im Kopf.
Dieser Gedanke war so stark, daß er dann einer der wenigen Gründe wurde, die
mich am Leben hielten. »Eines Tages wirst du krepieren. Eines Tages wirst du
krepieren...«
    Es war Blut auf dieser verfluchten
Maschine. Auch das Blut war dreckig. Dreckig wie er, dreckig wie ich. Er ging
weg und ließ mich da, mit dem roten Blut auf der Waschmaschine.
    Nie werde ich dieses Bild auslöschen können.
Manchmal versuche ich mir einzureden, daß es ein Alptraum war. Ich habe das oft
getan, wenn es mir schlechtging. Ich sagte mir, du hattest einen Alptraum,
vergiß ihn. Aussichtslos.
    Er hatte gewonnen. Ich hatte verloren.
Was hatte er gewonnen? Selbst heute weiß ich es nicht. Ein Rätsel, das ich
nicht zu lösen vermag. Aber er hatte gewonnen, und ich wollte, daß er daran
krepiert. Er hatte mich getötet, das rote Blut zeugte davon.
    Er hat die Tür offen gelassen, als wäre
ihm alles egal, selbst ich. Auch diese offene Tür macht mir Angst. Ich steige
von der Waschmaschine runter und wasche. Ich schrubbe. Ich wasche. Meinen Mund,
meine Hände, meinen Körper, meine ekelhaft klebrigen Beine. Ich klammere mich
an dieses Waschbecken und bitte den lieben Gott, etwas für mich zu tun.
    Ich bemerke, daß ich den Waschlappen
fleckig gemacht habe, ich spüle ihn aus, schrubbe wieder. Ich wage nicht, ein
Handtuch zu benutzen, um es nicht auch noch zu besudeln. Ich sammle meine
Kleider zusammen. Ich wische meine Beine mit meinem Nachthemd ab. Ich schleiche
auf Zehenspitzen in mein Zimmer, ohne Lärm zu machen.
    Er ist in der Küche, er macht sich
einen Kaffee.
    Er ist in dieser Nacht nicht
wiedergekommen. Heute sage ich mir, es ist wahnsinnig, er ist in die Küche
gegangen und hat sich einen Kaffee gemacht, als wäre nichts geschehen. Und ich
war einer Ohnmacht nahe. Ich habe wieder angefangen zu beten. Obwohl ich mir
geschworen hatte, mich an diesen treulosen Gott nicht mehr zu wenden. Aber mit
gefalteten Händen fuhr ich fort, ihn um Hilfe zu bitten. Wer sonst hätte mir
helfen können?
    Anscheinend bin ich fast sofort
eingeschlafen. Jedenfalls versank ich im Nebel. In diesem Badezimmer sah ich
alle Einzelheiten, hörte ich alle Geräusche mit einer fürchterlichen
Genauigkeit, dann nichts mehr. Nur die Erinnerung, daß ich gewaschen und
geschrubbt, meine Kleider zusammengesucht und mich verzogen habe, während er
Kaffee machte. Im Zimmer hatten wir Etagenbetten. Meine Schwester schlief oben
und ich unten. Ich habe mich am Kopfende des Bettes zusammengerollt und
gebetet, danach weiß ich nichts mehr. Es war Morgen.
    Ich muß am oberen

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