Ich war zwölf...
geschehen. Er hatte diesen blödsinnigen
Ausdruck gefunden: »Liebe machen wie die Großen.« Zu jener Zeit war es genauso
ekelhaft wie alles Übrige, und ich sah keinen Unterschied. Offensichtlich gab
es für ihn einen. Wahrscheinlich der Umstand, auf einer Matratze am Boden zu
liegen.
Ich hatte keine Vorstellung von all dem
Sadismus, der in seinem Kopf herumspukte. Immer eine Stufe höher, immer mehr.
Auch das wird Ihnen nicht erspart bleiben. Wenn man, wie ich, beschlossen hat,
alles zu erzählen, dann deshalb, weil man sich sagt, daß es wichtig ist. Ich
hoffe, durch dieses Buch werden sich ein paar Dreckskerlen von Vätern
verfolgt, entlarvt, in ihrem unverantwortlichen Treiben bloßgestellt fühlen.
Aber ich hoffe auch, daß es einigen
Mädchen in die Hände fällt. Daß sie es lesen und begreifen, daß sie sofort da
heraus müssen, so schnell wie möglich und sich nicht von ihrer Scham daran
hindern lassen. Weil sie das Mittel ist, das diese Väter in der Hand haben —
ich streiche »Väter« und sage besser »diese Kerle« — sie ist das Mittel, das
sie haben, um ihre Opfer an sich zu ketten. Um ihnen langsam aber sicher Ekel
vor sich selbst einzuflößen. Das hindert sie daran, zu schreien und irgendwo
Zuflucht zu suchen, bei der Polizei oder den Nachbarn, oder zu töten. Ich werfe
mir vor, ihn nicht umgebracht zu haben. Ich weiß. Das darf man nicht sagen.
Aber, mein Gott, was soll ich anderes sagen?
Die Arme steif, die Fäuste geballt,
verbiß ich mir meinen Zorn, meine Qual und meinen Haß. Das hinderte ihn nicht, mich
auszuziehen. Sich auszuziehen. Er tat das ganz langsam. Er glaubte, es sei gut,
mich schmachten zu lassen, der Blödian. Als würde ich ungeduldig darauf warten...
lächerlich! Er hat mich auf den Boden gelegt und hat mit seiner Art
Zärtlichkeiten begonnen. Da habe ich begriffen, was er wollte. Er wollte, daß
ich so tue als hätte ich das gern. Er fragte: »Das gefällt dir, hmm? Sag schon...«
Es war klar. Wenn ich nicht gehorchte, würde ich eine Tracht Prügel mit dem
Gürtel bekommen. Ich mußte sagen: »Ich mag es.«
Noch etwas anderes. Es gefiel ihm
nicht, daß ich mich starr wie ein Eisblock hielt, während er sich auf mir
bewegte. Er wollte, daß ich mich auch bewegte. Daß ich mich engagierte, wenn er
bei der Sache war...
Da haben Sie’s. Das war die höhere Stufe.
Ein neues Gesetz. Verboten, nicht zu sagen: »Ich mag es«, wenn er es verlangte.
Mich bewegen, das konnte ich nicht. Das
nicht! Niemals! Zum Glück kam er in Fahrt, wie er sagte. Er hat diesen
idiotischen Seufzer ausgestoßen und für diesmal war der Alptraum zu Ende. Er
hat wieder gefragt, ob ich das gern gehabt hätte. Ich habe nicht geantwortet,
er hat nicht weiter gedrängt.
»Gehen wir heim.«
Ich war vollkommen ausgeleert, hatte
den Eindruck, nicht mehr zu existieren. Und trotzdem fühlte ich mich hundeelend.
Nur unter Mühen verbiß ich mir das Weinen, als ich mich anzog. Ich hatte mir
ein für allemal geschworen, nicht mehr vor ihm zu weinen. Weder aus Hochmut
noch aus Stolz. Nein, ich hatte ganz einfach Angst, der Gedanke, er würde mich
schlagen, entsetzte mich. Nicht weinen war ebenso ein Gesetz. Wenn du weinst,
die Keile. Das lähmte mich. So daß ich an meinem unterdrückten Schluchzen fast
erstickte, fast auf der Stelle krepierte. Mit haßerfülltem Herzen, die Augen
voller Tränen, mußte ich meine Ruhe bewahren.
Ich springe aus dem Mercedes und
schreie:
»Ich muß aufs Klo...«
Ich stürze auf die Toilette. Ich wasche
mich, ich schrubbe, ich schrubbe, ich schrubbe die Gerüche herunter, ich
schrubbe, bis ich nicht mehr fühle, wie seine Hände mich berühren, sein Mund
mich küßt, sein Glied in mich eindringt. Ich schrubbe wie eine Furie. Rasch.
Ich habe nur wenig Zeit, um aufs Klo zu gehen. Das ist keine Ewigkeit.
»Du bist schon im Nachthemd? Mein armes
Mäuschen... hast du diese Buchführung gut hinter dich gebracht?«
»Ja, Mama, ohne Schwierigkeit.«
»Was hast du gemacht?«
»Na die Rechnungen halt, die
Mehrwertsteuer... Gute Nacht, Mama...«
»Du gibst mir gar keinen Kuß!«
»Ich bin müde, Mama.«
Ich küsse meine Mutter. Ich bin ein
gutes kleines Mädchen, das von der Arbeit erzählt, die es für seinen Papa
erledigt hat. Nichts von einem Pornoabend.
Und wieder stehe ich vor einer auf den
Boden gelegten Matratze, in diesem Loch, in dem wir zwei Monate lang leben
werden. Eine Matratze wie die, auf der er mir »Liebe gemacht« hat. Ich bin
widerwärtig. Ich verabscheue,
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