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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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ich es gewollt, das stimmt.
Zu der Zeit, als ich meinen Vater liebte. Stolz, die Sekretärin von Papa zu
sein.
    »Beeil dich, wir haben ein gutes Stück
Weg vor uns...«
    »Warum hast du deine Rechnungen nicht
hierher gebracht?«
    »Meinst du, daß ich das ganze Büro mit
mir herumschleppe? Wo sollen wir das hintun? In den Schrank?«
    Er hat auf alles eine Antwort parat.
Für alles eine Logik. Für alles eine Lüge.
    Ich steige wieder in diesen verfluchten
weißen Mercedes. Er spielt eine Kassette, die mir die Ohren volldröhnt. Ich bin
mäuschenstill. Ich wage nicht mehr zu fragen, was wir tun werden. Ich habe
vorhin schon zu viel gesagt. Sei’s drum, wo mich alle im Stich lassen. Ich
werde es über mich ergehen lassen. Es ist mir wurscht. Was auch immer, aber
nicht der Gürtel. Es fällt mir schon schwer, die Striemen auf meiner Brust zu
verstecken. Ich verdrücke mich unter die Dusche, ich lege nie meinen
Büstenhalter ab. Wenn ich nur überhaupt nichts mehr ausziehen müßte. Der Wagen,
die Nacht, das Schweigen. Ich weiß nicht, was er denkt. Er liebt das. Den
Mysteriösen zu spielen, sich hart gegenüber den Angehörigen zu zeigen. Nie habe
ich gesehen, daß er sich gegenüber einem Stärkeren so verhalten hätte. Ich
bekomme nie Stärkere als ihn zu Gesicht. Nazi! Eins kannst du nicht: Die
Gedanken in meinem Kopf ändern. In meinem Kopf kann ich sagen: verdorbenes
Stück, Dreckskerl, Widerling, Nazi. Krepier doch!
    Ich sehe mich wieder in diesem Wagen
und dann ihn, sein Profil eines — ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll —
einer Katze... nein, eine Katze ist etwas Angenehmes. Es fällt mir schwer,
Ihnen das zu beschreiben. Trotzdem müssen Sie sich seinen Kopf vorstellen
können. Seine beide Köpfe. Der Kopf von früher, das war Papa, er war schön. Ich
kann zeichnen und dennoch soll mich bloß niemand bitten, den Kopf meines Vaters
zu zeichnen, eher würde ich die Kreide aufessen. Jedenfalls existiert sein Kopf
von früher nicht mehr. Seit einem Jahr, seit er mir das auf der Waschmaschine
angetan hat, ist er häßlich. Zu feine Züge, wie mit der Schere ausgeschnitten.
Der schmale Mund, mit seinem dünnen Lächeln. Im täglicher Leben, für die
anderen, ein ruhiges Lächeln. Für mich eine sadistische Fratze. Für mich war er
groß und stark. Er ist klein und schmal, muskulös und nervös. Ungeahnter
Gewalttätigkeiten fähig. Ich fand ihn autoritär und selbstsicher. Das gefiel
mir. Er ist brutal und selbstgefällig.
    Er lenkte seinen weißen Mercedes, als
wäre er ein Chef. Wovon, frage ich mich immer wieder. Wir haben die fünfzig
Kilometer im absoluten Schweigen hinter uns gebracht, währenddessen grölte die
Musik. Ich wußte genau, daß die Arbeit ein Vorwand war. Ich versuchte trotzdem,
es mir nicht einzugestehen. Ich tat so, als sei alles normal. Wir würden die
Rechnungen auflisten und nach Hause zurückkehren.
    Ich habe Rechnungen schreiben gespielt.
Ich mußte nur noch die Mehrwertsteuer errechnen. Geschickt die Kleine! Mit
dreizehn tippte ich auf der Rechenmaschine wie ein richtiger Profi! Ich war
tatsächlich in vielen Dingen meinem Alter voraus. Ich lernte leicht. Ich war größer
als die Mädchen meines Alters. Das war mein Pech. Wäre ich einen Meter dreißig
groß gewesen oder mager wie eine räudige Katze, hätte er mich vielleicht nicht
vergewaltigt.
    Ich hatte die Rechnungen
fertiggestellt. Was tun? Ich versuchte, Zeit zu gewinnen, indem ich Striche zog
und die Zahlenreihen noch einmal zählte. Aber er ließ sich nicht täuschen, er
hatte genau gesehen, daß ich fertig war. Also fing er an, seinen Schreibtisch
und seinen Werkstisch aufzuräumen. Er schloß sein Diplomatenköfferchen — Gattung
Generaldirektor — zu. Es herrschte immer noch Schweigen. Kaum zu ertragen. Das
versetzte mich in Angst und Schrecken. Was ich tat? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht
kaute ich an den Nägeln. Er brach das Schweigen:
    »Gehen wir ins Nebenzimmer, dort stört
uns keiner.«
    Das Nebenzimmer war eine Garage, die er
als Lagerraum benutzte. Hier waren wir wahrhaftig allein. Da konnte ich
schreien, soviel ich wollte, niemand würde mich hören. Er war glücklich, in
seinem Element. Er sperrte mich ein. Er würde genau das mit mir machen können,
was er wollte.
    Glauben Sie, ich würde meine Zeit damit
verbringen, Ihnen zu erzählen, wie dieser Dreckskerl mich vergewaltigte? Nein.
Das ist bereits geschehen. Vergewaltigt auf der Waschmaschine. Mit mir Liebe
machen wie die Großen? Auch das ist

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