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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Nächte
zubringt, dein heißgeliebter Onkel? Was würdest du sagen, wenn ich dir, bevor
ich in diesen verdammten Mercedes einsteige, einfach so den Satz hinschmisse:
»Ich habe Tabletten herausgekotzt, an denen ich sterben wollte. Es gelingt mir
nicht einmal zu sterben.« Leg dich schlafen, Cousine, ich mag dich gern, du
bist nett, aber du würdest auf mich kotzen, wenn ich dir mein Leben erzählte.
Du hast noch kein Leben, du Glückliche.
    Zündschlüssel, Motor, Wenden und dann
im Wagen. Der Geruch der Sitze widert mich an. Die Zigarette auch.
    Ich sollte in den letzten Stock eines
Gebäudes steigen und hinunterspringen.
    Nein, das Beste ist die Sache mit dem
Lastwagen. Ich brauche einen Lastwagen. Eines Tages wird mir auf meinem Weg
wohl dieser Todeslastwagen begegnen, der mich für den Rest meiner Tage ins
Krankenhaus bringen wird.
    Die Lust zu sterben ist etwas
Kompliziertes. Man möchte, daß es von allein kommt. An diesem Abend war es mir
mißlungen, aber heute frage ich mich, ob ich wirklich sterben wollte. Ja, ich
wollte. Ohne Zweifel. Dennoch sagte ich mir zuweilen, daß ein Lastwagen mich
ins Krankenhaus brächte, wo ich vor ihm geschützt wäre. Mit gebrochenen
Knochen, gelähmt, im Koma. Ich stellte mir vor, für immer im Krankenhaus zu
bleiben. Folglich würde ich nicht sterben. Andere naive Vorstellungen von
meinem Tod gingen mir durch den Kopf. Beispielsweise, daß der liebe Gott mich
bestrafte und mich in der Nacht, im Schlaf, sterben lassen würde. Am Morgen
würde man einen ganz steifen und kalten Körper finden, und ich würde die Leute
reden hören. Er würde sagen, ich sei ein gutes Mädchen gewesen, niemand würde
je erfahren, daß ich schmutzig war.
    Das Schmutzige wurde zur Obsession.
Wenn ich mit jemandem auf der Straße sprach, mit einer Klassenkameradin zum
Beispiel, schien mir manchmal, sie sähe es mir an. Ich sauste davon wie ein
Wiesel. Oder ich vermied es zu reden. Ich setzte mich irgendwohin, auf eine
Bank, abseits, ich raffte den Haufen Schmutz, der ich war, wieder zusammen, ich
sonderte ihn von den anderen ab, damit ihn niemand sah. Ich hätte mich auch in
einen Müllsack verfrachten können, warum nicht. Man sagte über mich: »Nathalie
verschließt sich, das ist die Pubertätskrise.«
    Angesichts meines schmutzigen Lebens
war so eine Äußerung furchtbar oberflächlich und kläglich.
    Und dann habe ich gehört, wie jemand
davon sprach. Gegenüber dem Laden meiner Mutter war ein Elektrogeschäft.
Anne-Marie B., die Besitzerin, war eine der besten Freundinnen meiner Mutter
geworden. Sie war freundlich. Bei ihr gab es alles zu kaufen, Mixer und
Videokassetten. Sie war eine neugierige, vielleicht auch mißtrauische Frau. Sie
stellte die ganze Zeit Fragen, über alles und jeden. Das gehörte zu ihr. Sie
ist der einzige Mensch, der beispielsweise darüber beunruhigt war, daß ein
Mädchen meines Alters zu unmöglichen Uhrzeiten schlafen ging, um seinem Vater
als Sekretärin zu dienen, wo es doch am nächsten Morgen Schule hatte. Sie hatte
einen Verdacht. Ich spürte es. Eines Morgens bekam ich darüber Gewißheit.
Panische Angst.
    »Was möchtest du, Nathalie?«
    »Einen Kaffeefilter.«
    »Geht’s dir gut? Du siehst nicht sehr
gut aus.«
    »So la la.«
    »Hast du gestern abend ferngesehen?«
    »Nein. Ich hatte zu tun.«
    »Du hast oft Arbeit, finde ich... Das
ist nicht vernünftig, ich hab’s deiner Mutter gesagt... In deinem Alter braucht
man Schlaf. Glaubst du nicht, daß die Schule wichtiger ist als die Buchführung
deines Vaters?«
    »Man kann beides tun. Problemlos.«
    »Also hast du nicht ferngesehen?
Schade, es gab eine interessante Sendung... über den Inzest.«
    Scheiße! Warum erzählt sie mir davon?
Scheiße. Worauf will sie damit hinaus? Hat sie begriffen? Ist es mir gelungen?
Ich habe gewonnen; hat sie begriffen, ohne daß ich etwas sage?
    Ich schiebe die Kaffeefilter auf dem
Ladentisch hin und her, ich interessiere mich für die elektrischen Lampen, ich
gucke mir die Preisschilder an, ich warte darauf, daß sie weiterspricht. Los,
sprich schon. Sag schon, daß du begriffen hast... Sag schon...
    »In der Sendung kam ein Mädchen zu
Wort, sie war am Telefon, man hat sie also nicht gesehen. Sie sagte, daß sie
mit ihrem Vater glücklich war und daß sie nicht wollte, daß sich das ändert...«
    »Was? Daß sich was ändert? Ich verstehe
nicht.«
    »Na gut. Du weißt, was das ist,
Inzest?«
    »Ja. Nicht so richtig.«
    »Brüder und Schwestern miteinander oder
Vater und

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