Ich war zwölf...
Gürtel los und
beginnt zu schlagen.
»Du wirst schon sehen... Ich werde dich
lehren, mich zu respektieren...«
Wieder einmal darf ich es ausbaden. Ich
hab’s satt, etwas für die anderen einzustecken. Ihre Scheißpsychologin können
sie sich sonst wohin stecken. Ab heute wird mir niemand mehr sagen, wohin ich
zu gehen habe. Selbst Anne-Marie. Das geht sie nichts an. Nie mehr tappe ich in
eine Falle. Es ist mein Unglück. Ich werde allein damit fertig.
10
In diesem Jahr glaubte ich, es würde
ein Ende nehmen. Er hatte beschlossen, ein Haus zu kaufen. Ein richtiges. Die
ganze Familie sprach nur noch von Bank und Kredit, wir sahen uns Häuser an, und
er ließ mich in Ruhe. Wir bekamen unser Haus. Alle waren verrückt vor Freude.
Mama etwas weniger, sie würde eine Stunde zu ihrem Laden fahren müssen. Es kam
nicht in Frage, das Geschäft einfach so aufzugeben. Aber die Begeisterung
darüber, endlich nicht mehr in diesem Rattenloch zu hausen, war stärker als
alles andere.
Das Geschäft würde verkauft werden.
Vielleicht würden wir wieder zu einem normalen Leben finden. Meine Mutter würde
nicht mehr zwölf Stunden am Tag schuften, sie wäre wieder zu Hause. Jeder hätte
sein Zimmer. Wir würden leben.
Zu früh gefreut. Er fand es
praktischer, sein Büro an Ort und Stelle zu belassen.
Also legten wir die Strecke dreimal pro
Woche zurück, allein, um zu »arbeiten«, »Rechnungen zu schreiben«. Oft war er
so unter Drogen, daß er kaum mehr richtig sah. Einmal habe sogar ich das
Steuerrad übernommen. Ich war stolz. Oh! Nicht daß ich den Mercedes gefahren
hätte. Er traute mir nicht. Wir hatten einen alten R 14, halb verrostet, aber
ich war trotzdem glücklich. Ich brachte die Fahrt vom Haus zum Laden ohne
Schwierigkeiten hinter mich. Auf dem Rückweg war es vier Uhr morgens und er war
vollkommen high. Ich weiß nicht, warum ich ganz plötzlich zu zittern begann.
Heute ahne ich es. Eine Nacht aus Scham und Müdigkeit und dieser mit Hasch vollgepumpte
Vater neben mir. Mit einem Mal gebe ich Gas, anstatt bei der Ankunft auf die
Bremse zu treten, und wir landen vor einer Mauer. Er hatte nicht einmal mehr
die Geistesgegenwart, die Handbremse zu ziehen. Wir hätten sehr gut dabei
umkommen können. Ich habe einen fürchterlichen Schrecken bekommen. Er saß da
und betrachtete seine rosaroten Elefanten und ich die Mauer durch die
zerbrochene Windschutzscheibe hindurch. Mit ihm sterben, niemals. Ihn töten,
ja. Die Lust, ihn zu töten nahm mir meine eigene Lust zu sterben. Aber er war
nicht tot, und in dem ausgeflippten Zustand, in dem er sich befand,
verabscheute ich ihn noch mehr, diesen Dummkopf. Drogen, was für ein Dreck!
Es war indiskutabel, meiner Mutter von
dem Unfall zu berichten. Er hätte ihr gestehen müssen, daß es vier Uhr morgens
war und daß ich fahren mußte, weil er mit Hasch vollgepumpt war. Also hatte ein
Unbekannter den Wagen gerammt und Fahrerflucht begangen. Er fand immer einen
Ausweg, ganz gleich welche Lüge dazu erforderlich war. Am Ende hatte er es
satt, dreimal pro Woche den ganzen Weg zurückzulegen; er fand es schlauer, ein
Büro im Haus einzurichten. Nach einer gewissen Atempause kam mir das Messer
wieder in den Sinn.
»Schau. In drei Wochen wird die Garage
unser Büro sein.«
»Wozu? Warum läßt du die Garage nicht
so, wie sie ist?«
»Damit wir beide ungestört sind.«
Ich sehe zu, wie die Arbeiter mein
zukünftiges Gefängnis in Angriff nehmen. Es ist ein viereckiger Raum mit einer
großen Tür. Sie reißen die Tür heraus und errichten eine Mauer mit einer ganz
kleinen Tür. Im Inneren und an den Wänden bringen sie Teppichboden an. Warum an
den Wänden, fragt meine Mutter. Wegen der Feuchtigkeit und weil es hübscher
aussieht, antwortet mein Vater.
Damit man mich nicht schreien hört,
damit man den Krach der Videokassetten nicht mitkriegt, damit man sein
widerliches lustvolles Stöhnen nicht hört. Ich habe vor die Tür gespuckt. Er
hat es nicht gesehen. Ich bin feige.
Ich bin feige. Wieder Tage, ohne zu
schreiben. Ich muß dieses Buch zu Ende bringen, ich muß. Auf der
Schreibmaschine, die er mir geschenkt hat. Ich mag sie, sie allein verurteilt
mich nicht. Die einzige, die ohne Widerrede meine Worte aufzeichnet. Ein
Geschenk von ihm, ich weiß. Aber es ist ihm nie gelungen, sie zu besudeln. Sie
gehört mir. Ich habe Gedichte darauf getippt, ich habe darauf mein Leben
erzählt, in Bruchstücken, die ich in den Papierkorb warf. Auch sie half mir ein
wenig, mich an ihm zu
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