Ich war zwölf...
rächen. Unfähig, wie er war, einen einzigen Satz zu
bilden, schrieb ich an seiner Stelle. Er war eine Null, ungebildet. Meine
Maschine und ich hatten die Macht.
Ich hätte viel mehr von ihm fordern
müssen. Ich hätte ihn ruinieren sollen, diesen Schuft. Ihn ausnehmen wie eine
Gans. Ich hätte ihn bestehlen, ihn ausplündern sollen, zu dumm, daß ich noch
nicht einmal daran gedacht habe. Im Grunde meiner Seele bin ich wohl keine
Diebin. Die kleinen Diebstähle in den Geschäften, die Füllfederhalter, die
Radiergummis, die Bleistifte, die Feuerzeuge, das war Kinderei. Vielleicht
hoffte ich ganz naiv, daß man mich erwischt und ins Gefängnis steckt. Das
Krankenhaus, das Gefängnis, meine Großmutter, das bedeutete Freiheit jenseits
des Stacheldrahtes. Ich habe es nie geschafft. Er erfand ständig neue
Stacheldrähte.
Sie glauben vielleicht, daß es nichts
Schlimmeres gibt, daß ich schon alles Erdenkliche erlitten hatte; Sie wissen
noch nichts von der Entwürdigung durch das Spiel mit den Fotos. Warum war das
noch unerträglicher als alles übrige? Eine Vergewaltigung mehr. Eine
heimtückische Vergewaltigung. Als ich endlich den Mund aufmachte, habe ich die
Sache mit den Fotos verschwiegen. Ich konnte es nicht sagen. Es war dreckiger
als der ganze Rest, weil er es eines Tages fertig brachte, daß ich daran
teilnahm. Begreifen Sie das? Bis dahin nahm ich an nichts teil, ich erlitt es.
Und eines Tages wurde ich Initiator meiner eigenen Erniedrigung. Es ist die
grauenhafteste Erinnerung. Es wird Ihnen vielleicht übertrieben vorkommen, aber
denken Sie gut darüber nach. Sie werden sehen, der Trick war teuflisch. So
teuflisch, daß er mich noch lange Zeit blockierte. Daß er mir tiefgreifende
Schuldgefühle einflößte. Ich hatte mich in einem weiteren Stacheldraht
verfangen, der mehr als mein Fleisch verwundete.
Die Garagen-Büro-Zelle meiner Folter.
Er knipst die Bürolampe an und richtet
den Lichtstrahl voll auf die Tür. Die einzige Eingangstür. Sollte jemand durch
das Schlüsselloch sehen, würde es ihn blenden. Im übrigen legt er ein Tuch über
das Schloß. Mit einem Gefühl von Verachtung und Angst sehe ich ihn all diese
Vorsichtsmaßnahmen treffen. Er ist ein armes Schwein. Mir gegenüber hat er sich
als der Typ aufgespielt, der vor nichts Schiß hat, der sich seiner saublöden
Theorie über den Inzest sicher ist, aber in Wirklichkeit stirbt er fast vor
Angst, geschnappt zu werden. Sie plagt ihn immer mehr. Und ich denke immer
häufiger an das Messer.
Wenn uns jemand überraschte, würde er
lügen — dessen bin ich sicher. Er würde beispielsweise sagen, ich wäre die
verdorbene Schlampe. Die Nutte. Daher habe ich letztendlich fast ebensolche
Angst wie er.
Er zeigt mir einen Fotoapparat. Eine
Polaroidkamera. Wozu?... Mein Gott...
Er will, daß ich mich nackt ausziehe
und daß ich bestimmte Posen einnehme. Daß ich ekelhafte Dinge tue während er
mich fotografiert. Das erregt ihn. Er will eine Pornonutte aus seiner Tochter
machen. Ein Einfall, schnell, worüber könnte ich mit ihm reden, um ihn daran zu
hindern.
»Weißt du, ich wollte dir von meinen
Schulnoten berichten.«
»Ich weiß Bescheid, sie sind schlecht.«
Er richtet eine Lampe auf mich und
zeigt auf den leeren Schreibtisch. Ich muß darauf steigen und Posen einnehmen.
»Der letzte Aufsatz, den ich
geschrieben habe... du weißt, er ging über...«
»Leg dich hin...«
»Bist du nicht in der Schule gewesen?«
Wenn ich ihn auf seine Jugend bringen
könnte, auf die Schwierigkeiten, die er gehabt hat...
»Ich habe in deinem Alter nicht das
Glück gehabt. Keine Eltern mehr, meine Schwester hat mich aufgezogen; da hieß
es schuften, sich allein durchschlagen. Keine Schule. Wenn ich hätte lernen
dürfen wie du...«
Es scheint zu funktionieren, mit
Leidenschaft ergeht er sich in den Beschreibungen seiner Kindheit. Ich kenne
das auswendig, und es interessiert mich einen Dreck, wichtig ist, daß er redet.
Scheiße, er hält an seiner fixen Idee fest, er zieht mich an den Armen, an den
Beinen, er rückt an meinem Körper herum, als wäre ich ein Gegenstand. Ein
dreckiger Gegenstand, dessen intimsten Teile man fotografiert. Jedes Blitzlicht
brennt in meinen beschämten Augen, und ich rede immer noch, immer noch, ich tue
so, als dächte ich an etwas anderes, als sei diese Abscheulichkeit nicht
wichtig, als kümmerte ich mich überhaupt nicht darum. Alles verschwimmt um mich
herum. Es gibt zwei Nathalies: die auf diesem Schreibtisch, nackt,
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