Ich war zwölf...
widerlich,
und die, die spricht, ohne die andere Nathalie anzusehen. Ich starre unverwandt
auf die Decke, ins Leere. Ich betrachte meine hoffnungslose Lage.
Er macht eine Aufnahme, wartet, daß sie
aus dem Apparat herauskommt, betrachtet sie und beginnt von neuem. Warum tut er
das? Um sich zu erregen? Nur deshalb? Wird er diese Scheußlichkeiten jemandem
zeigen?
Ich habe meinen Vorrat an
Schulgeschichten aufgebraucht. Ich werde mit knapper Not in die Sekunda
versetzt werden, ihn kümmert das nicht im mindesten, alles, was ihn
interessiert, ist sein neues Spiel.
»Jetzt bin ich dran. Du wirst
fotografieren, was ich dir sage... Nimm den Appaarat.«
Nein! Das nicht! Ich will ihm nicht
gleichen. Ich will nicht dieselben, genauso gemeinen, genauso entwürdigenden
Dinge machen. Mich wird er nicht drankriegen! Wenn ich gehorche, ist’s aus mit
mir. Soll er mich doch schlagen, lieber heule ich unter den Hieben des Gürtels.
Nachher werde ich in meinem Bett sowieso heulen. Ich heule die ganze Zeit. Ich
heule nachts in mein Kopfkissen, bis ich fast daran ersticke. In mir ist so
viel Heulen, ein Ozean aus entfesseltem Heulen.
»Ich befehle dir, diese Aufnahme zu
machen. Verstanden?«
»Nein. Ich will nicht.«
Der Gürtel. Er schlägt.
»Du darfst dich nicht weigern. So etwas
ist normal. Wenn man seinen Vater liebt, gehorcht man ihm. Ich will, daß du dir
all diesen Quatsch aus dem Kopf schlägst, den die Gesellschaft darüber
verbreitet. Die Gesellschaft ist marode. Das wird sich ändern. Verstanden? Der
Inzest darf nicht gesetzlich verboten werden. Leute wie du und ich haben das
Recht, zusammen glücklich zu sein. Wir sind das beste Beispiel.«
Er hält mich für schwachsinnig. Schläge
und ein völlig hirnverbranntes philosophisches Gelabere. Das soll Glück sein:
Schläge mit dem Gürtel und den Penis meines Vaters in Großaufnahme
fotografieren! Das soll Liebe sein!
Er schreit:
»Wenn man liebt, macht man alles, was
man will!«
Jetzt bin ich dran. Schließlich
gehorche ich wie gewöhnlich. Ich trödle, stelle den Apparat nicht richtig ein,
ich schließe jedesmal die Augen, alles geht daneben. Aber das merkt er sofort,
und ich muß es noch einmal machen. Blitzlicht folgt auf Blitzlicht, ich sehe
überhaupt nichts mehr.
Jetzt darf ich mich nicht mehr
beklagen. Ich verdiene, was mir zustößt. Es geschieht mir ganz recht. Ich habe
mich darauf eingelassen. Ich bin wie er. Auf der Anklagebank sitzen drei. Er,
der Apparat und ich. Ich bin eine dreckige Hure. Gut zum Abschießen, zum
Krepieren. Gott hat gesehen, wie ich’s getan habe, hier ist der Beweis, ein
kleines viereckiges Stück Papier in Farbe und noch eines und noch eines. Schauen
Sie, wie schmutzig Nathalie ist, schauen Sie, wie gut sie den Penis ihres
Vaters fotografiert. Der Schuft hat den Krieg gewonnen. Er hat aus mir die Frau
gemacht, die er wollte. So liebt er die Frauen.
Scheiße. Ich bin keine Frau. Ich bin
fünfzehn Jahre alt.
Er ist zufrieden mit seiner kleinen
Frau, mit seiner Schlampe. Ich kann mich schlafen legen. Ich habe einige Bilder
mehr in meinem widerwärtigen Familienalbum. Tobe, heul in ein Kopfkissen,
Heuchlerin, du hast dich selbst verraten. Es ist aus mit dir, aus, aus, aus.
Das habe ich nie erzählt. Alles andere,
den Gürtel, die Waschmaschine, all die Jahre der Prostitution, die er mir zu
seinem Vergnügen aufgezwungen hat, habe ich berichten können. Aber das...
Jedesmal, wenn ich von den Fotos sprach, hielt ich mir die Hände vor die Augen.
Ein solches Gefühl des Verrats hatte ich in dieser Nacht. Eine ungeheuere
Gewißheit, daß ich endgültig verdorben war, weil ich mich darauf eingelassen
hatte, anstatt ihn zu töten. Ich hätte ihn töten müssen. Nie werde ich mir
diese Fotos verzeihen. Nie. Ich konnte mich nicht mehr beklagen, denn ich hatte
»eingewilligt«.
Merkwürdig. Das einfache Drücken auf
den Auslöser eines Fotoapparates hat mich zur Komplizin werden lassen. Solange
ich mit meinem Kopf Widerstand leistete, solange mein Körper nicht wußte, was
er tat und nur ein hübsches Ding war, mit dem er sich vergnügte, solange hielt
ich durch. Einigermaßen wenigstens. Nun nicht mehr. Ich begann, mich selbst zu
hassen, ebenso heftig, wie ich ihn haßte. Ich sehe mich wieder in meinem Bett,
nach dieser grauenhaften Posse, ganz zusammengerollt, die Zähne im Kopfkissen,
sehe, wie sich die ganze Geschichte noch einmal vor meinen Augen abspult.
In erster Linie war es Francks Schuld.
Wegen ihm ist es so weit mit mir
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