Ich war zwölf...
gekommen. Ich hasse ihn, genauso wie ich
meinen Vater hasse. Wie ich viele Männer hasse. Diese lächerliche Macht, die
sie zu besitzen glauben, weil sie einen Penis haben, möchte ich ihnen ein für
allemal nehmen. Keinen Penis mehr. Und dann? Was würden Sie wohl ohne dieses
scheußliche Ding da zwischen den Beinen tun?
Mein Vater, dieser Kerl, der als mein
Vater galt, hatte sich selbst auf sein Geschlecht ein Pik-As tätowiert. Er mag
Tätowierungen, er hat viele, er ist stolz darauf, er findet das schön. Er hat
die Technik dazu im Gefängnis gelernt. Weil er in seiner Jugend im Gefängnis
gesessen hat. Er hat gestohlen, er ist in den Knast gekommen. Ich habe das
später erfahren. Sein Penis war so wichtig für ihn, daß er ihn mit einem Pik-As
verziert hat, einem Unglücks-As, dessen Spitze auf seinen Bauch zeigte. Ich
habe das von nahem fotografiert: Ich habe es ins Visier genommen und auf den
Auslöser gedrückt. Wahrscheinlich wollte er es in seiner ganzen Pracht. Wem
wollte er es zeigen? Den Nutten? Ich ahnte noch nicht, daß dieses Pik-As mir
eines Tages erlauben würde, ihn zu überführen.
Ich empfand Ekel vor mir selbst. Am
nächsten Morgen schleppte ich mich mit diesem Ekel in die Schule. Ich war nicht
mehr dieselbe. Genauso schuldig wie er, genauso verwerflich, genauso dreckig,
garstig.
Wir sprachen vom Unterricht, vom
Ausgehen, von Glimmstengeln. Als wenn nichts wäre. Das deprimierte mich. Ich
konnte sie nicht mehr mit anhören, diese albernen Liebesgeschichten. Hast du
mit ihm geflirtet oder nicht? Läßt dein Vater dich rauchen? Was hast du in dem
Aufsatz über Montaigne geschrieben? Woher hast du diesen Pullover?
Warum bin ich mit diesem Vater
geschlagen? Warum ich?
Ich ging nach Hause, lustlos,
vollkommen ratlos. Der Schulweg war lang, seit wir in diesem schönen Haus mit
den Rosen im Garten wohnten. Schon allein wegen der Rosen hätte ich es gekauft.
Eine Rose ist etwas so Sauberes. Sie riecht gut, sie kann sich mit ihren Dornen
verteidigen. Ich mag Rosen.
Die Woche verging sehr schnell, weil er
im Augenblick keine Zeit hatte, mich vor dem Wochenende festzunageln. Ich
konnte also vom Montag bis zum Freitag aufatmen. Aber die Tage vergingen rasch,
das ist immer so, wenn man ruhig in seinem Winkel sitzt, und niemand einem auf
die Nerven fällt. Oder wenn man Ferien hat oder glücklich ist, es geht zu
schnell vorbei. Wogegen eine Sekunde der Angst so lange dauert wie ein ganzes
Jahr.
April 1987... Nächstes Jahr werde ich
das Collège wechseln. Aber nicht die Familie. Meine Mutter hat mich
fallenlassen. Sie liebt mich nicht mehr wie früher. Jedenfalls glaubte ich das
in meinem sechzehnten Lebensjahr. Wenn sie mich geliebt hätte wie früher, hätte
sie verstanden. Ich war ungerecht. Meine Mutter ist anständig, naiv, auch sie
wurde wie eine Sklavin gehalten. Sie hat so viele Dinge von ihm erdulden
müssen, von denen ich nichts wußte. Aber in dieser Zeit hatte sie mich
fallenlassen. Ich war allein. Das war natürlich nicht ihre Schuld. Aber ich war
wahrhaftig allein.
Mein einziger Freund, mein einziger
Verbündeter war das Messer in meinem Kopf.
Auf der Autobahn. Es ist Freitag,
Alptraumtag. Ich hasse den Freitag. Ich sitze im Mercedes. Ich hasse den
Mercedes. Er fährt, er hält sich für einen Pascha.
»Ich fahre nach Lyon, Freunde besuchen.«
Fahr wohin du willst, Blödian.
»Es wäre gut, wenn du mit mir kämst.«
Gefahr. Ich fühle, daß da etwas faul
ist.
»Ich möchte, daß du mit meinen Freunden
schläfst...«
Mein Gott, das ist doch nicht möglich!
Es ist ihm wieder etwas anderes eingefallen.
»Sonst geht’s dir gut?«
»Sprich nicht in diesem Ton mit mir! Es
ist zu deinem Besten. Ich werde dich nicht anrühren. Ich will, daß du mit
anderen Männern schläfst.«
»Ich will nicht. Deine Freunde gehen
mich einen Dreck an. Du wirst mich wohl nicht dazu zwingen?«
»Ich sage dir doch, es ist zu deinem
Besten. Du mußt einen Orgasmus bekommen. Es ist nicht normal, keinen zu
bekommen. Ich will wissen, ob du bei anderen einen hast.«
»Machst du Witze?«
»Überhaupt nicht. Ich mein’ es ernst.
Ich habe drei wunderbare Freunde. Bei denen wirst du viel lernen.«
Drei. Er will, daß ich mit drei Typen
schlafe. Zu seinem Spaß. Weißt du, wo du dir deinen Spaß hinstecken kannst? Ich
will keinen Spaß. Ich will, daß man mich in Ruhe läßt. Daß man mich in Ruhe
läßt, mein Gott, allmächtiger Vater, Pfaffen aller Kirchen, heiligste
Jungfrauen, mit eurem Jesus auf dem
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