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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Arm, laßt ihr das zu? Scheißreligion.
    »Ich will nicht. Hältst du mich für
eine Nutte?«
    »Wir werden noch darüber sprechen.«
    »Außer Frage, darüber noch einmal zu
sprechen, ich will nicht, punktum.«
    »Doch, wir werden noch darüber sprechen.
Du brauchst jetzt einen anderen Mann als mich, du bist blockiert, das muß sich
ändern.«
    Ich habe einen Monat lang über diesen
neuerlichen Einfall nachgedacht. Auch mir kam eine Idee. Er wollte mich mit
anderen Männern zusammenbringen. Das kam nicht in Frage. Aber ich würde selber
einen finden. Übrigens hatte ich in unserem neuen Viertel bereits einen Jungen
gesehen, der mir vom ersten Tag an aufgefallen war.
    Wenn ich selbst einen Jungen wählen
würde, einen, der mir gefällt, und ich mit ihm schliefe, würde er mich
vielleicht in Ruhe lassen, dieser Sadist. Ich sah für mein Alter schon ganz
schön alt aus. Ich fühlte mich durchaus in der Lage, einen Mann aufzureißen,
und so habe ich es versucht.
    Meine Schwester kämmt ihre langen
blonden Haare und zeigt beim Lachen ihre Zähne.
    »Ach wirklich? Wie ist er?«
    »Er ist achtzehn, er ist größer als
ich, hellbraune Haare, dunkelbraune Augen. Weißt du, Augen, die die Farbe
wechseln, manchmal sind sie grün. Er sieht gut aus...«
    »Super. Wirst du ihn dir anlachen?«
    »Und ob.«
    »Wie willst du das anstellen?«
    »Keine Ahnung, aber ich werd’s schon
schaffen. Ich brauch’ ihn.«
    Voll Bewunderung lacht sie hellauf. Sie
ist so niedlich, so anständig, meine Schwester. Sie ist größer geworden. Schon
vierzehn Jahre alt. Wenn er sie bloß nicht anrührt. Wenn er auch nur seine Hand
auf sie legt, bring’ ich ihn um. Dann hätte ich die Kraft, zum Messer zu
greifen. Zum richtigen. Nicht zu dem aus meinen Alpträumen.
    »Wie heißt er?«
    »Bruno.«
    »Das ist ein toller Name. Siehst du ihn
morgen?«
    »Ja.«
    »Erzählst du mir’s dann?«
    »Ja.«
    Freudig hüpft sie auf mein Bett, eine
Liebesgeschichte...
    Eine Liebesgeschichte... Ich glaubte
nicht wirklich daran. Anfangs waren die Dinge eindeutig. Da ich keine Freiheit
über meinen Körper haben konnte, würde ich etwas anderes durchsetzen. Einen
Jungen in meinem Leben. Was mein Vater wohl dazu sagen würde? Was könnte ihm
dazu einfallen? Ich bin in dem Alter, wo ich ganz offiziell und für alle
sichtbar einen Liebsten haben kann. Ich könnte ihn mit nach Hause bringen, zwei
Jahre älter als ich, volljährig, Mama auf dem laufenden, ich gerettet...
    Kaltblütig arbeitete ich meinen Plan
aus, ohne zu wissen, daß ich tatsächlich eine Liebesgeschichte erleben würde.
Die schönste meines Lebens. Was ich da sage, ist idiotisch, mein Leben ist
kurz, ich bin heute erst neunzehn Jahre alt; außer Bruno habe ich keine anderen
Liebesgeschichten gehabt. Das macht nichts, es ist die schönste meines Lebens.
    »Wer ist dieser Junge?«
    Er spielt den Papa, der sich über den
Umgang seiner Tochter Gedanken macht. Ich werde ihm sagen, wer es ist. Mit
Vergnügen.
    »Bruno.«
    »Aha... Seit wann kennst du ihn?«
    »Seit einigen Wochen. Ich mag ihn
gern.«
    »Arbeitet er?«
    »Er geht das letzte Jahr ins
Gymnasium.«
    »Ah so.«
    Das ist alles. Er brüllt nicht. Er
verbietet mir nicht, mich mit Bruno zu treffen. Was geht da vor? Ich hatte mich
auf einen Streit eingestellt und — nichts. Er wirkt zufrieden. Aber natürlich
ist er zufrieden, bin ich dumm! Er ist jetzt gedeckt. Ich werde mit einem
Jungen gehen, er läuft nicht mehr Gefahr, der Vergewaltigung angeklagt zu
werden. Na, mir ist’s wurscht. Jedenfalls, entgehe ich den drei Freunden aus
Lyon. Er wollte einen Mann in meinem Leben, es gibt einen.
    Ich hatte noch nicht verstanden, daß er
die Situation ausnutzen würde. Er würde sich nicht nur weiterhin an mir
schadlos halten, sondern auch an Bruno. Wie naiv ich war! Ich glaubte mich
erwachsen — gewiß, ich war es in vielerlei Hinsicht und gegen meinen Willen —
aber ich blieb naiv wie ein kleines Mädchen. Bis dahin hatte ich wohl versucht,
Flirts zu haben, aber ich behielt sie nie länger als zwei Wochen, und er wußte
nichts davon. Ich brachte es nicht fertig, mit einem Jungen meines Alters
weiterzugehen. Ich sah sofort den Kopf meines Vaters. Nahm ein Junge mich in
die Arme, um zu flirten, ergriff ich die Flucht. Bruno war anders. Er gefiel
mir wirklich. Ich wollte ihn. Und die Familie akzeptierte ihn ohne
Schwierigkeit. Mit einem Male fühlte ich, daß ich existierte...
    Vor unserem neuen Haus ist ein
Treffpunkt. Eine Betonplatte, kahl, leer, ohne

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