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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Zeit.
    »Hast du mich etwa nicht gesehen?«
    »Nein. Wir gingen gerade nach Hause,
meine Schwester hat mir hinterher gesagt, daß du’s warst.«
    Er glaubt mir oder auch nicht,
vielleicht ist das nur ein Spiel. Wir gehen spazieren. Ich habe ihn, er ist da.
Paß jetzt auf, Nathalie. Wehr dich nicht gegen den Arm, der sich um deine
Taille legt.
    Dein zweiter Kuß kommt, da ist er. Sei
ganz bei der Sache, weiche nicht zurück. Laß dir alles gefallen. Wenn du einen
Jungen willst, mußt du das Spiel mitspielen. Mach’s wie die anderen Mädchen.
    Ein Kuß. Ein richtiger, auf den Mund.
Es tut gut, jemandem einen Gefallen zu tun.
    »Sehen wir uns morgen? Ich zeig’ dir
eine Stelle, du kennst dich hier noch nicht gut aus... Wirst sehen, es ist nett
da.«
    Ich möchte, daß er mir wichtige Dinge
sagt. Daß ich schön bin, daß wir uns nie trennen werden. Ich möchte ihm genauso
etwas sagen, aber mir fällt nur das Allergewöhnlichste ein:
    »Also dann bis morgen, salut...«
    Im Badezimmer schaue ich in den
Spiegel. Mein Mund. Er hat meinen Mund geküßt. Er hat mich berührt, und ich
habe standgehalten. Es wird gehen. Ab jetzt werde ich einen Typen in meinem
Leben haben. Ich muß nicht nach Lyon und mit unbekannten Männern schlafen.
Jedesmal, wenn wir in seinem verdammten Mercedes auf der Autobahn fahren und
ich das Schild mit der Aufschrift »Lyon 299 km« sehe, habe ich Angst. Angst,
daß er’s wahr macht, daß er mich zwingt, mit diesen Kerlen zu schlafen, eine
Nutte zu werden. »Ich werde dich nicht anrühren, nur zusehen, das ist alles.«
    Mach, daß du weiter kommst! Bruno wird
mich da rausholen.
    Sonntag. Schöner Sonntag. Hand in Hand,
Bruno und ich. Brunos Arm um meine Taille. Im Gleichschritt, mein Kopf auf der
Höhe seiner Schulter. Und ganz plötzlich das Geräusch des Motors. Ich erkenne
es unter tausenden, dieses Geräusch des Mercedesmotors. Brauche mich nicht
einmal umzudrehen, er ist da, in seinem Auto, den Kopf aus dem Wagenfenster
gebeugt, er fährt langsamer, hält neben uns. An seiner Seite sitzt Mama und
lächelt. Er ist bleich. Mehr als bleich, weiß. Er befiehlt:
    »Steig ein, wir fahren zu deiner
Tante.«
    »Nein. Wir machen einen Spaziergang.«
    Ich sehe ihn nicht an. Ich sehe Mama
an. Danke, lieber Gott, daß sie da ist.
    Sie sagt zu Papa:
    »Laß sie halt spazierengehen, komm,
fahren wir los.«
    Er setzt den Motor in Gang. Er hat mich
mit einem Jungen gesehen, der seinen Arm um meine Taille gelegt hatte. Ich
könnte einen Riesenluftsprung machen... er hat mich gesehen und hat vor ihm
nichts tun, nichts sagen können. Vor ihm. Ich bin in Sicherheit. Ich bin groß,
ich bin in Bruno verliebt. Das ist mein Glück. Ich habe endlich einmal Glück.
Danke, lieber Gott.
    »Dein Vater ist nett.«
    »Findest du?«
    »Ist er’s nicht?«
    »Doch... doch...«
    Sicher, zweifelsohne. Muß er wohl. Aber
ich weiß genau, was geschehen wird. Er wird Bruno akzeptieren müssen. Er wird
seinen Deckmantel haben, dieser Schuft. Er wollte einen, na bitte, aber ich
habe einen Plan in meinem kleinen Kopf. Mit einem Mann kann man, wenn man alt
genug ist, Liebe machen, Kinder haben, sich verheiraten und abhauen. Das ist
der Ausweg aus meiner Not.
    Ich werde in Bruno verliebt sein. Und
das werde ich meinem Vater triumphierend ins Gesicht sagen.
    »Nathalie, wer ist dieser Junge?«
    Mama deckt den Tisch, er ist in seinem
Büro. Oder sitzt vor dem Fernseher. Stundenlang bringt er vor diesem Kasten zu
und schaut Kassetten an, er lebt neben uns her.
    »Das ist Bruno.«
    »Und was macht Bruno beruflich?«
    »Ich glaube, er hat eine abgeschlossene
Schreinerlehre.«
    »Kennt ihr euch schon lange?«
    »Vier Tage...«
    Ich habe die Tage gezählt, die seit dem
Datum, das ich auf den Bettpfosten geritzt habe, vergangen sind. Vier Tage voll
Glück. Voll Regen und Sonnenschein.
    »Und ihr faßt euch schon um die
Taille?«
    »Hör mal zu, Mama, wir tun nichts
Schlimmes...«
    »Ja, ja, aber du bist noch keine
sechzehn...«
    »Alle Mädchen in meinem Alter haben
einen Flirt... und die Eltern machen kein Theater deswegen.«
    Für Mama müssen die Mädchen bis zur
Heirat Jungfrauen bleiben. Mama ist altmodisch. Und auf komische Weise naiv.
Sie ist anständig. Er sagt, daß Mama kaputt, daß sie ständig müde, krank,
deprimiert ist... Das stimmt, aber es ist seine Schuld, nicht ihre. Mama hält
zu uns Kindern, nicht zu ihm.
    Trotzdem bin ich böse auf sie.
Eigentlich müßte sie die Rechnungen schreiben, nicht ich. Sie bräuchte es nur
zu

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