Ich war zwölf...
Haschraucher
und hinterwäldlerische Spaßvögel.
Mama, meine Schwester und ich haben uns
ins Wohnzimmer geflüchtet und schauen uns die sonntäglichen Albernheiten im
Fernsehen an.
»Nathalie, schenk allen zu trinken
ein!«
Gehorchen. Den Mund halten. Befehle
empfangen. Seit meiner Heimkehr ist er außer Rand und Band. Irgend etwas hat
ihn gepackt, keine Ahnung, was. Die Angst, daß ich etwas verraten habe, oder
die Tatsache, daß man ihm entkommt, und sei es für eine Minute..., oder auch
nur der Anschein von Revolte, der sich bei uns zeigt. Uns, meiner Mutter und
mir.
Ich weine in dem finsteren Flur, kann
es mir nicht verbeißen. Es stürzt nur so aus mir heraus. Meine Mutter kommt
vorbei.
»Mama, ich kann nicht mehr. Ich hab’s
satt.«
Ganz plötzlich ein Ausbruch.
»Pack deine Sachen zusammen, wir gehen
fort.«
Sie läuft ins Zimmer meines Bruders:
»Fred, nimm deine Sachen, wir gehen
fort. Los Mädchen, beeilt euch... Wir gehen fort! Ich sag’ euch, wir gehen
fort, jetzt, auf der Stelle!«
Endlich! Endlich platzt ihr der Kragen.
Endlich ein vernünftiges Wort. Weggehen. Wir gehen weg! Wir rennen aus dem
Haus, als sei im Inneren ein Feuer ausgebrochen, Mama drängt uns, zieht uns,
faßt uns am Ärmel, öffnet die Türen ihres Autos, verstaut uns darin, alles geht
so schnell... Sie läßt den Motor an, fährt zurück, die Reifen knirschen auf dem
Zement im Hof, wir warten darauf, daß sich der Wagen in Richtung Straße bewegt,
da bremst sie plötzlich. Eine Auto versperrt uns die Einfahrt. Es gehört einem
Freund meines Vaters. Unmöglich, daran vorbeizufahren. Mama öffnet die Tür,
stößt meinen Bruder hinaus:
»Sag Thomas, er soll seinen Wagen
zurückfahren, mach schnell«.
Frédéric, der arme Kleine, spielt den
Boten. Und ich sage mir im stillen, dieser Kerl hat seinen Wagen absichtlich
dort hingestellt... Es ist aus. Alle kommen aus dem Haus, um uns anzuschauen.
Mein Vater an der Spitze. Er betrachtet sein Trüppchen, das sich im Auto
zusammendrängt... in die Enge gedrückt, Flucht verpatzt. Er geht auf die
Wagentüre zu, öffnet sie und befiehlt meiner Mutter:
»Steig aus!«
Ich erinnere mich nicht mehr daran, was
er noch gesagt hat. Ich sehe mich wieder starr vor Angst auf dem Nebensitz
sitzen, ich höre Worte, ohne zu verstehen. Ich sehe, wie Mama beginnt, ihn mit
Fäusten zu traktieren. Im selben Moment sage ich mir, er wird sie verletzen,
und es ist meine Schuld. Ich besaß die Kühnheit zu sagen, ich hätte es satt,
sie wird an meiner Statt bezahlen. Ich sehe mich aus dem Wagen steigen und mich
zwischen sie werfen, um sie zu trennen. Ich weiß nicht, was ich schreie, was er
schreit, es ist ein verschwommener Alptraum, an dessen Laute ich mich nicht
mehr erinnere. Er zieht Mama ins Haus, wir kommen im Wohnzimmer zusammen. Er
entreißt ihr die Autoschlüssel und geht hinaus, läßt uns einfach stehen. Er
wendet sich wieder seiner Familie, seinen Freunden zu, spielt den Herrn des
Hauses.
Wie lange haben wir dort gesessen,
weinend, aneinandergedrängt, und versuchten erfolglos, Mama zu trösten? Es war
dunkel, als er wieder hereinkam. Kein Licht, außer im Flur. Ich sah nur unsere
Schatten auf dem Kanapee sitzen und ihn in der Tür stehen. Er gräbt in seiner
Tasche, holt die Autoschlüssel hervor und wirft sie Mama an den Kopf:
»Wenn du abhauen willst, tu’s! Ich
brauch euch nicht zum Leben, ich komme alleine zurecht.«
Und er ging in sein Büro und schlug die
Tür hinter sich zu.
Wir blieben mucksmäuschenstill. Mama
saß da mit ihren Schlüsseln in der Hand, sie sagte nicht mehr »wir gehen fort«.
Wir liefen nicht zum Wagen. Wir brachen nicht mehr aus. Von neuem festgeleimt.
Es mußte etwas getan werden.
Ich mußte handeln.
»Mama, ich werde mit ihm sprechen. Ich
sag’ ihm, was ich von ihm denke.«
»Nein. Geh nicht, er ist zu aufgeregt.«
Ich verstehe nicht. Sie hat die
Schlüssel der Freiheit in der Hand, sie bräuchte nur dieses Zimmer zu
durchqueren, über die Schwelle zu treten, aber sie bleibt wie gelähmt.
»Mama, laß mich hingehen!«
Es tobt in mir. Ich möchte ihm alles
ins Gesicht schreien, die Dinge in die Hand nehmen. Ihn aufs Schlimmste
erniedrigen und erhobenen Hauptes hinausgehen!
»Bleib ruhig.«
Wiederum das Geräusch der Tür, er kommt
zurück:
»Beweg dich ein bißchen, Nathalie, du
wirst mir einen Brief tippen, aber dalli. Und beeil dich, ihr habt mir lange
genug auf den Nerven herumgetrampelt!«
Mama hat nichts gesagt. Es war still,
und das
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