Ich war zwölf...
Scheibe des Küchenfensters zerbrochen
hatte, daß er alles, was ihm in die Hände gefallen war, kaputtgeschlagen hatte.
Wir hatten alle Angst. Wieder war es
ihm gelungen, uns so sehr zu terrorisieren, daß niemand sich von der Stelle zu
rühren wagte. Meine Schwester drückte sich an die Wand, meine Mutter war auf
einem Stuhl zusammengebrochen, und ich stand unter dem Schock einfach nur da.
Die Schreie hallten unaufhörlich in meinem Kopf wider, ich machte in die Hose.
Aus Angst. Die nackte Angst. Wegen der du dich nicht rühren kannst. Du stehst
da, wie ein Stein, du erwartest, daß man jeden Moment auf dich eindrischt, und
du machst dir in die Hose. Du wirst zum Tier. Er hatte uns in ein jämmerliches
kleines Trüppchen Tiere verwandelt, das vor Angst gelähmt war.
Ich weiß, daß wir auseinandergingen, um
zu schlafen. Ich weiß, daß ich die ganze Nacht nicht geschlafen habe,
zusammengekrümmt vor Angst, schweißgebadet unter der Decke, in der Hoffnung,
unsichtbar zu sein, sollte er kommen, um das letzte Wort zu haben. Das war dumm
und wirkungslos, das wird mir jetzt klar. Aber mir blieb nichts anderes übrig.
Ich erinnere mich auch, daß ich am frühen Morgen gebetet habe, um dem lieben
Gott dafür zu danken, daß er mich in meinem Zimmer allein gelassen hatte. Daß
er mir diesmal die Folter, den Gürtel, den obligatorischen Inzest erspart
hatte. Verdammter lieber Gott, er hatte eine ganze Weile gebraucht, um zu
kapieren. Um mir zu helfen. Um die Familie zu sprengen, um mir Kraft zum
Widerstand zu geben. Zum Neinsagen und gewinnen.
Noch ein Tag, meine Mutter bei der
Arbeit, ich im Gymnasium, die Kleinen in der Schule.
Er ist weggefahren, als wäre nichts
geschehen. Als hätte er uns endgültig in seine Gewalt gebracht.
Und dennoch war das Eitergeschwür
aufgeplatzt. Wegen einer lächerlichen Kleinigkeit. Es ist merkwürdig, wie die
kompliziertesten Situationen sich ganz plötzlich wegen einer Kleinigkeit lösen
können. Der Tropfen Wasser, der das Faß zum Überlaufen bringt. Ein Tropfen
Gewalt mehr, ein Tropfen kindischer Autorität, eine Tasse Kaffee...
Es ist verrückt, wenn ich daran
zurückdenke. Dieser entscheidende Tag hatte mit einer vermurksten Tasse Kaffee
begonnen. Eine zu viel. Der Tyrann hatte verloren.
Ich schreibe diese Zeilen in dem Moment
nieder, wo der Tod des rumänischen Tyrannen über alle Fernsehbildschirme
flimmert. Ein Volk unter Zwangsherrschaft hat sich von seinem Hitler, seinem
Dracula befreit. Eines Tages hat es die Kraft gefunden, nein zu sagen.
Wir waren auch ein kleines Volk unter
der Zwangsherrschaft eines Tyrannen, eines Folterknechts.
Nur habe ich eben nicht das Bild des
toten Tyrannen vor Augen. Ich kann mich an diesem Schauspiel nicht ergötzen,
mich davon überzeugen, daß das Scheusal tot ist und keinen Schaden mehr
anrichten wird.
Er war also in aller Ruhe wie
gewöhnlich zur Arbeit gefahren. Und währenddessen organisierten wir, das kleine
Volk, unsere Flucht. Es war unsere einzige Lösung, wenn man von derjenigen
absah, die mir seit Jahren im Kopf herumging. Ich, ein Messer und er.
Ich habe Chantal angerufen, dort unten,
am Meer. Dies war der Unterschlupf, den wir zunächst brauchten, weil sie unsere
Freundin geworden war, weil sie verstanden hatte und auch, weil er ihre Adresse
nicht kannte. Sie verstand überhaupt nichts. Sie bat uns, an die Folgen zu
denken, man verläßt ein Haus, ein ganzes Leben nicht so ohne weiteres. Aber was
für ein Leben?
»Wir haben hier kein Leben, Chantal.
Das ist unmöglich mit ihm. Es ist aus, Mama will sich scheiden lassen, und wir
haben genug von ihm.«
Schließlich hat sie verstanden und
versprochen, uns am darauffolgenden Tag, einem Dienstag, abzuholen.
Ich ging zu Brunos Eltern, um ihnen
Bescheid zu geben, daß ich wegführe und daß sie sich keine Sorgen machen
sollten. Ich war erwachsen. Diese Abreise bedeutete meine Volljährigkeit, die
tatsächliche.
Montag abend mußten wir ganz
unauffällig unsere Koffer packen, mit ganz wenigen Dingen, wie Diebe im
Dunkeln, und sie unter die Betten schieben.
Meine Mutter ist zur Polizei gegangen,
um ihnen eine wichtige Frage zu stellen. Was würde in dem Falle geschehen, daß
sie die eheliche Wohnung verließe? Die Antwort hat uns am Boden zerstört. Wenn
sie mit ihren Kindern wegginge, würde der Vater alle Rechte über das jüngste,
Fred, meinen Bruder, haben.
Mama war zwanzig Jahre zurückgeworfen
worden, in die Zeit, wo sie zum ersten Mal, mit mir als Baby, fortgehen
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