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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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oder böse sein. Wir haben uns diesmal für das Gute entschieden.
    Ihre Chance 2000, Christoph Schlingensief und Freunde, März 1998
    Gegründet haben wir Chance 2000 im März 1998, in einem Zirkuszelt. Also da, wo Parteien herkommen und auch hingehören. Der Zulauf auf dem Prater-Gelände der Volksbühne war enorm. Ich hatte im Fernsehen, ich glaube, bei Biolek, angekündigt, dass ich jetzt eine Partei gründe, eine Partei für Minderheiten, die die Mehrheit haben, dass ich damit sechs Millionen Arbeitslose sichtbar machen will. Als ich nach der Talkshow nach Hause kam, war meine damalige Freundin schon abgehauen, das Telefon klingelte ununterbrochen und irgendwelche Irren waren am Apparat. Die nächsten Tage gab’s dann Fluten von Post, auch E-Mails, denn mit dem Internet haben wir auch schon hantiert.
    Dass wir die Parteigründung damals trotz des Riesenandrangs hinbekommen haben, dass die Veranstaltung nicht im Chaos versank, ist Dietrich Kuhlbrodt zu verdanken. Wir mussten ja verhindern, dass das Ganze in einer endlosen Grundsatzdiskussion zerfleddert wird. Wir wollten eine Partei als Sammelbecken gründen, diskutiert werden sollte später. Daher hatte Dietrich ein Verfahren entwickelt, mit dem wir innerhalb von ein paar Minuten einen Landesverband gründen konnten. Das ging ungefähr so: »Landesverband Hamburg, anwesend sind der Schriftführer und der zukünftige Landesvorsitzende. Ist jemand gegen den Landesvorsitzenden? – Keine Gegenstimme, hiermit angenommen.« So ging das dann weiter, klappte immer reibungsloser: »Keine Gegenstimme?« Und zack war man Landesvorsitzender von Chance 2000. Nach einer halben Stunde waren alle gewählt. Später kam allerdings der schwierigere Part: Jeder Landesvorsitzende musste 2500 Unterstützungsunterschriften bei sich im Land sammeln, also Leute finden, die sagen, dass sie die Partei wählen würden, wenn sie wählbar wäre. Doppelter Konjunktiv-Rittberger das Ganze, aber es hat geklappt: Zwölf Landesverbände haben wir auf die Beine gestellt.
    Unsere wichtigste Wahlkampfveranstaltung war natürlich der Versuch, das Ferienhaus von Helmut Kohl zu fluten. Das heißt, wir haben sechs Millionen Arbeitslose aufgerufen, am 2. August nach Österreich an den Wolfgangsee zu kommen und gemeinsam mit uns schwimmen zu gehen. Nach unseren Berechnungen wäre das Wasser um drei Meter angestiegen und Kohls Ferienhaus samt Kohl, der dort gerade Urlaub machte, in den Fluten untergegangen. Dann ist er weg, dann ist das seit 16 Jahren penetrant Sichtbare unsichtbar geworden – das war die Idee. Gekommen sind statt sechs Millionen ungefähr 600, inklusive Medien – ein Totaldesaster, das ich als Politiker aber natürlich entsprechend wenden konnte. »Die Tatsache, dass hier keiner ist, ist die Spiegelung unserer Gesellschaft. Wir spiegeln hier die Unsichtbaren auf perfekte Art und Weise«, habe ich den Presseleuten lauthals verkündet.
    Baden gegangen sind wir trotzdem. Als wir in die Nähe von Kohls Ferienhaus kamen, versuchte ein Polizeiboot, uns zu stoppen, ein Mann mit Megafon schrie: »Herr Schlingensief, schwimmen Sie zurück!«
    »Nee, das geht doch nicht, die ganzen Leute hier, die ganze Presse, die wollen doch was sehen!«
    »Drehen Sie um, Herr Schlingensief, schwimmen Sie zurück!«
    »Nee, bitte, helfen Sie mir lieber. Sagen Sie Herrn Kohl, er soll ans Fenster kommen und winken, das reicht den Leuten, dann schwimmen wir zurück.«
    »Das geht doch nicht, Herr Schlingensief. Der kommt nicht ans Fenster – was soll ich denn machen? Ich bin doch vom BND! Schwimmen Sie zurück! Bitte!«
    Irgendwann sind wir dann abgedreht und haben uns mit letzter Kraft ans Ufer gerettet. Um 16 Uhr soundso viel habe ich zusammen mit Martin Wuttke Helmut Kohl für tot erklärt: »Helmut Kohl hat sich nicht am Fenster gezeigt, das heißt, er ist gerade in seinem Haus verendet. Deshalb ist Deutschland jetzt führerlos, deshalb wählt Chance 2000.«
    Die Zeitungen waren in den nächsten Tagen voll von der Aktion, es gab Tausende von Artikeln, auch ausländische. Die haben aus 600 einsam schwimmenden Menschen letztlich doch noch sechs Millionen gemacht. Wegen solcher Transportmöglichkeiten hatte ich die Presse eigentlich immer ganz gern.
    Während des Wahlkampfs bin ich mit unserem Chance-2000-Bus und meinen Leuten natürlich auch kreuz und quer durch die Republik gefahren. In Stuttgart und Leipzig waren wir, in Hamburg, in Bonn und ich weiß nicht, wo. Meist lief alles prima, aber leider war

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