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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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schreiben lassen, 200 Unterstützungsunterschriften von Mama, Papa und Freunden reichen dafür. Dann wählt man sich endlich mal selbst: »Jeder ist ein Volk.« Das war damals auch so eine Botschaft von uns. Und vor allen Dingen: »Kein Konsens!« Uns nicht einigen, mit wem auch immer! Das kommt mir auch im Nachhinein noch ganz interessant vor, denn tatsächlich kann man sich ja sogar mit sich selbst unglaublich schwer einigen. Gerade wenn man gezwungen wird, mit sich ins Reine zu kommen, damit die Geister in einem endlich zur Ruhe finden, merkt man, wie schwer das ist.
    Die Grundidee war nicht schlecht, glaube ich. Mit den Mitteln des Theaters in den politischen Raum zu gehen und zu versuchen, eine Fläche zu schaffen, in der die Leute stattfinden können, die im System nicht stattfinden – das war mehr, als einfach nur Politik zu verarschen. Ich glaube, in vielen meiner Arbeiten habe ich versucht, Prototypen und Mechanismen unserer Gesellschaft kenntlich zu machen. Parteitage, Wahlkampfspots, Plakate, Straßenwahlkampf, Talkshow-Auftritte – all die Inszenierungsformen, die zur Parteipolitik und zum Wahlkampf dazugehören, haben wir ja ausprobiert. Aber nicht, um alles in Scheiben zu schneiden, damit wir dann hinterher alle wissen, dass selbst das großartigste Werk nur ein zusammengestückeltes ist. Ich wollte immer auch etwas Utopisches, den Ansatz einer Vision – etwas zu sehen geben, was man normalerweise nicht sieht, all die Menschen, die von der Gesellschaft beiseitegeschoben und von der Regierung nur noch irgendwie verwaltet werden, wenn überhaupt. Die Umkehrung der Perspektive hat mich immer interessiert: Wenn man glaubt, man sieht etwas, aber dann dreht sich das um, nicht nur in der Realität, sondern auch und gerade im eigenen Kopf.
    AN ALLE
    Liebe Freundin, lieber Freund
    Einen Jahreswechsel wie den übernächsten erlebt man nur einmal in 1000 Jahren, trotzdem wird es sein wie immer an Silvester, man nimmt sich was vor, aber es ändert sich nichts, es geht alles so weiter wie bisher. Wir sind wie Züge, die, auf Schienen gesetzt, nie oder selten entgleisen. Das ist ordentlich und beruhigend, aber auch tödlich langweilig. Die Richtung, in die wir so zwangsläufig rollen, haben wir uns nicht ausgesucht, sie ist vorgegeben, und zwar jede Kurve und jeder Stopp. Und der Zielbahnhof ist, das ahnen wir schon lange: das Grab. Dafür, dass wir in einem freien Land leben, ist das eigentlich ganz schön wenig. Wo sind denn unsere Wahlmöglichkeiten? Vielleicht werden Sie einwenden: Wir haben bei 160 TV-Programmen so viele Wahlmöglichkeiten, dass uns Hören und Sehen vergeht. Ich aber sage Ihnen, es vergehen Ihnen nicht nur Hören und Sehen, sondern auch sämtliche anderen Möglichkeiten, die in Ihnen schlummern. Die Wahl zwischen Fernsehkanälen hat den gleichen Haken wie die Wahl zwischen politischen Parteien. Sie wählen immer andere und anderes, nie sich selbst! Eigentlich komisch. Diese Gesellschaft beruht doch auf Privategoismus, warum wählt man dann nie sich selbst? Sie drücken Ihre Fernbedienung oder machen Ihr Kreuzchen, Sie wählen nicht, was Sie wollen, sondern das, was andere wollen. Ja, die müssen mir aber gefallen, sonst wähle ich einen anderen (Kanal, und die Quoten fallen), werden Sie vielleicht sagen, aber das nützt Ihnen nichts. Sie können sich als König (Kunde) fühlen, um den sich alles dreht, aber in Wirklichkeit sind Sie ein Arbeitsloser, der dasitzt und zusieht, wie andere was machen.
    Deutschland ist zweigeteilt, in die, die fernsehen, und die im Fernsehen. Der Mensch ist, was er tut. Wer also nichts tut als fernsehen, ist auch nichts anderes als ein Fernseher. Falls er noch arbeitet, nützt ihm das auch nichts: Die Arbeit gehört der Firma und nicht ihm. Das heißt, eigentlich ist er gar nicht da. Aber das darf nicht sein. Das Volk kann doch nicht einfach verschwinden und das wahre Leben den Kunstfiguren überlassen! Deshalb fordern wir Sie auf: Gehen Sie auf Sendung! Machen Sie mal was! Was, ist egal. Hauptsache, Sie können es vor sich selbst vertreten. Natürlich wird es eine Pleite werden, wenn Sie selbst was machen. Aber eine Pleite, die von Herzen kommt, ist besser als eine Million, an der Scheiße hängt. Das nächste Jahrtausend kommt, mit Ihnen oder ohne Sie. Sie haben es in der Hand! Wir geben Ihnen einige Tipps und Hinweise, etwas aus Ihrem Leben zu machen. Es ist das Einzige, das Sie haben. Wir helfen Ihnen gerne. Freiheit ist, grundlos etwas zu tun, das kann gut

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