Ich weiß, ich war's (German Edition)
auf der Bühne einen Anruf, wir seien pleite, ich müsse jetzt aufhören. »Ja, aber hier sitzen gerade 1000 Leute, ich muss jetzt Parteitag machen«, habe ich protestiert. Nutzte aber nichts, ich musste nach Hause fahren.
Wir haben dann noch versucht, die Partei zu verkaufen, haben Anzeigen geschaltet: »Junge, aufstrebende Partei meistbietend zu verkaufen. Zur Bundestagswahl zugelassen, zahlreiche Landesverbände, bundesweites Netzwerk. Gebot: Chiffre Bundestagswahl 98.« Da hagelte es dann 185 staatstragende Artikel und der Bundeswahlleiter schrieb uns: »Parteien sind nicht käuflich. Die Gesetze lassen eine Veräußerung nicht zu.« Dabei sollten die Parteien doch endlich einfach zugeben, dass sie Konzerne sind. Nach der Wahl sind heute alle käuflich, wir waren damals schon vor der Wahl käuflich.
Bei der Bundestagswahl im September haben wir mit 150 000 Stimmen natürlich haushoch verloren. Unter 0,5 Prozent, es gab also noch nicht mal eine Wahlkampfkostenerstattung. Im nächsten Jahr hatte ich perönlich 180 000,– DM Steuerschulden, weil mir niemand gesagt hatte, dass man Parteispenden nicht auf einem Privatkonto einnehmen darf. Ich habe das Geld natürlich in die Partei gesteckt, aber das nützte nichts: Es waren und blieben meine Einnahmen. Als ich den Brief vom Finanzamt bekam, saß ich gerade bei einer Probe von »Berliner Republik« an der Volksbühne. Ich schaute da rein: »Was ist das denn? Was steht da? 180 000,– DM, zahlbar bis?« Mir wurde immer kälter, ich begann zu zittern, mein Herz raste – die Probe war jedenfalls zu Ende. Am nächsten Tag kam dann noch Augenflimmern dazu, ich bin in die Charité gegangen und dort an einen völlig durchgeknallten jungen Arzt geraten, der mich wohl scheiße fand und fertigmachen wollte. Nach der Untersuchung teilte er mir mit: »Ja, also, passen Sie auf, Sie haben einen Hypophysen-Tumor.« Ich: »Was soll das denn sein?« Da erklärte er mir seelenruhig, dass die Hypophyse die Gefühle erzeugen würde und dass sie mir die jetzt aber leider rausoperieren müssten. Damit wäre dann auch Schluss mit meinen Gefühlen.
Nach der Diagnose mit diesem Hypophysen-Tumor war ich endgültig fertig. Ich saß auf den Proben nur noch wie ein Alien rum und habe eigentlich keine Regie mehr geführt, die Schauspieler haben stattdessen irgendwas improvisiert. Die Premiere war total schwierig. Alle waren da, wollten die Aufführung sehen, es ging ja um Gerhard Schröder und Doris Schröder-Köpf. 45 Minuten lang war alles okay, es gab Szenenapplaus für Irm Hermann als Doris Schröder-Köpf, die Hölle war los, im Publikum und auf der Bühne. Aber nach 45 Minuten war einfach nichts mehr los. Gar nichts mehr. Nur noch Rumstehen und Rumgucken, Bernhard Schütz als Gerhard Schröder hat noch versucht, irgendwas zu reißen, aber es brach einfach alles ein. Dann bin ich noch selbst auf die Bühne, hab einen Dia-Vortrag gehalten, anschließend haben wir Werner Brecht mit Heilerde eingeschmiert, weil er im Stück einer von den Grünen war – aber es blieb ein Desaster. Auf der Premierenfeier sprach keiner mit mir, die Verachtung stand den Leuten ins Gesicht geschrieben. Nur Rainald Goetz kam auf mich zu und meinte, das Stück sei der Hammer. Genau so werde es kommen mit der Berliner Republik: Erst seien alle begeistert, gigantisch große Eier würden gelegt – dann mache es Boff und dann werde da nichts mehr sein.
Das hat Goetz so gesehen – und so ist es ja auch gekommen. Aber ich hatte das damals nicht so gesehen, das war auch nicht das, was ich inszenieren wollte, ich war einfach nur am Ende nach dieser Zeit mit der Partei. Immer wieder stand ich vor dem Spiegel und habe mich gefragt: Wer bin ich eigentlich? Was ist denn hier los? Bin ich überhaupt noch da? Hallo, ist da jemand?
Erst mal gerät man ja in einen Rausch, wenn man plötzlich an diesem politischen Brei teilnimmt. Wie gesagt: Man lernt, in jedes Mikrofon zu reden, zu jedem Thema irgendeinen schon zehnmal ausgelutschten Scheiß zu erzählen, man tut so, als hätte man alles auf der Pfanne. Irgendwann glaubt man das auch und kann gar nicht mehr unterscheiden zwischen dem ausgelutschten Quark und etwas Produktivem. Ab dem Moment ist man eigentlich tot, weil man keine Angst mehr hat, weil man sich vor nichts und niemandem mehr fürchtet. Vor allem nicht vor sich selbst. Dann bin ich nach Afrika gefahren – und das war meine Rettung. Denn dort kam die Angst zurück: die Angst vor den Insekten, vor
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