Ich weiß, ich war's (German Edition)
irgendwelchen Schlangen, vor Malaria, vor der Hitze, vor den fremden Geräuschen, bei denen ich dachte, gleich kommen die Schwarzen und spießen mich auf. Und das Tollste war: Einmal saß ich abends wie Narziss vor so einer kleinen Wasserpfütze und schaute in mein Gesicht. Da merkte ich, dass ich auch wieder Angst vor mir selbst hatte. Und genau diese Angst hat mich wieder lebendig gemacht.
Ein Loch aus Angst und Ekel
Meine Eltern sind natürlich auch immer ein ganz großes Korrektiv in meinem Leben gewesen. Was die alles aushalten mussten, vor allem am Anfang, als ich meine Filme gedreht habe. Das war immer ein Riesendilemma für mich, wenn mein Vater die Filme gesehen hat. Zum Beispiel »Menu total«, mein zweiter Langfilm: Ein kleiner Junge rottet aus Angst vor den Ritualen seiner Eltern und Großeltern seine ganze Familie aus – und anschließend spielt er Hitler. Helge Schneider spielte die Hauptrolle, den kannte damals noch keiner, aber wir wohnten ja beide in Mülheim an der Ruhr. »Menu total« war ein ziemlich guter Film, finde ich, vielleicht sogar mein bester: schwarz-weiß, 16 mm, für die Kinoleinwand aufgeblasen auf 35 mm, jede Menge schwarze Körner, die über die Leinwand rasen. Das sah alles aus wie ein großer Ameisenhaufen, wie eine Riesenmenge von Insekten, die Menschenkörper darstellen. Wenn man ein bisschen bekifft ist, ist der Film noch besser. Nicht nur die Musik, die Helge geschrieben hat, der ganze Film ist purer Jazz, finde ich. Als er rauskam, hat ja jeder gedacht: Oh Gott, oh Gott, der Schlingensief, schwieriges Elternhaus, überall alte Nazis, Inzest, Perversionen hier, Perversionen da. Das war natürlich Quatsch. Für mich war der Film wie die Öffnung eines Drecklochs, ein Loch aus Angst und Ekel, das ganz tief in einem verborgen liegt und danach giert, abgearbeitet zu werden. Ich bin wirklich nicht esoterisch, aber ich glaube fest daran, dass wir Informationen in unseren Zellen mit uns herumschleppen, die lange vor uns da reingekommen sind. Dass jede Menge Ballast mit uns auf die Welt kommt, den wir nicht entsorgen können, weil niemand darüber sprechen will. Vielleicht waren deshalb viele meiner Figuren immer so sehr mit Brüllen, Kotzen und Bluten beschäftigt.
»Bad im Wolfgangsee«, Wahlkampfaktion, 2.8.1998
»Menu Total« lief jedenfalls auf der Berlinale, 1986, und ich weiß noch: Forum des Jungen Films, Delphi-Palast, der Saal voll, 800 Leute, und nach zehn Minuten stand Wim Wenders auf und ging. Mit ihm 400 andere Zuschauer – ein richtiges Solidaritätskommando. Und ich hatte schon sehr viel Bier drin und hab vor lauter Nervosität im Vorführraum die Lautstärkeregler immer höher und höher gedreht, immer mehr Bässe, ich wollte, dass die Musik richtig wummert in den Bäuchen der Leute. Nach der Vorführung sind also noch 400 Leute da und es gibt fast eine Schlägerei im Publikum: 200 dafür, 200 dagegen, ein Riesendurcheinander und ich mittendrin, ziemlich benebelt. Dann hitzige Podiumsdiskussion, die länger als der Film dauert, Alfred Edel diskutiert mit Dietrich Kuhlbrodt und mit den Zuschauern, richtig heftig und ausführlich. Irgendwann werden wir von meinem Produktionsleiter Wolfgang Schulte unterbrochen: »Wir müssen jetzt aufhören, wir haben jetzt Verleiher-Gespräche.« Hat natürlich keiner geglaubt. Wer sollte den Film schon verleihen wollen? Aber so war wenigstens ein geordneter Abgang möglich.
Applaus.
Mit wackligen Schritten stürme ich auf die große Bühne zu. Peter B. Schumann begrüßt mich mit der Bemerkung, dass ich aus Oberhausen komme und dass es da ja nun ein neues Festival gebe. Ein Festival der neuen Dimension. »Wird das wohl klappen?«, fragt er. »Na, da bin ich aber sicher!« »Fast sicher«, verbessere ich mich und meine die neuen Festivalaktiven, die hoffentlich nicht Anspruch mit »Just for fun« verwechseln und gleichzeitig den »gesellschaftspolitischen Anspruch« mit »nihilistischer Weltsicht« gleichstellen; denn »Was ist wichtig? Das Leben? Wir wissen’s nicht. Das Unwichtigste halten wir für wichtig. Und das Wichtigste sehen wir gar nicht.« (aus MORGENROT)
Und weiter geht’s.
»Da vorne rechts bitte!«, murmele ich masochistisch ins Mikrofon und starre die Zuschauer, die den Raum besetzen, an.
»Eigentlich liebe ich ja kubanische Filme«, sagt Peter B. Schumann.
Wenn Peter B. Schumann kubanische Filme mag, dann kann ich ruhig unverschämt werden und sinnlos antworten, dass ich Familien,
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