Ich weiß, ich war's (German Edition)
lustig fände. Am nächsten Abend sind sie wieder raus auf die Bühne und praktisch nicht mehr abgegangen. Sie haben nämlich das Lied so lange gesungen, bis die Leute aufgehört haben zu lachen. Dann kamen sie hinter die Bühne, wir alle nass geschwitzt, die beiden sehr entspannt: »Siehste, die haben gelacht! Siehste, weil wir das wollten!« Und dann gingen sie beide wieder eine »rochen«, wie sie es nannten, und natürlich schnell noch Kaffee trinken. Frank zog dann irgendwann weg aus Berlin und kam in ein anderes Heim, und Achim blieb dabei. Er machte die ersten Filmaufnahmen an der Volksbühne. Lange bevor Frank Castorf in seinen Produktionen mit Video arbeitete, hatte Achim schon seinen großen Auftritt mit Regina und den Hundewelpen: 1994, die erste Liveübertragung mit einer an der Decke angebrachten Videokamera an der Volksbühne mit Achim von Paczensky! Seine ganz große Rolle war natürlich die als Heiner Müller in »Rocky Dutschke«. Aber er war im Gleichgewicht der Abende, auch bei »Kunst & Gemüse«, immer eine ganz, ganz wichtige Dosis, die das andere erst erträglich machte. Ein Blick von Achim genügte, um die peinlichen Ausrutscher der anderen Darsteller zu legitimieren oder zu neutralisieren oder meist sogar extrem aufzuwerten. Und die vielen Idioten, die meinten, dass ich Behinderte instrumentalisieren und ausbeuten würde, wurden seit »Freakstars 3000« auch langsam stiller. Da wurden aus früheren Feinden sogar plötzlich Freunde und Unterstützer. Natürlich nicht alle, ein paar Feinde bleiben immer. Aber das ist eben das deutsche Gen. Da muss es immer welche geben, die nichts mitbekommen und andere nerven oder anstacheln, damit wir uns bloß nicht wieder alle für eine Sache entscheiden.
Achim und ich hatten auch mal Streit. Das war auch gut. Horst oder Achim oder Helga ziehen eben ganz andere Register, um Dinge durchzusetzen. Und ich weiß, dass sie manchmal Türen aufstoßen, die bei uns durchimmunisierten Leidensbeauftragten am Theater, im Kulturbetrieb und den Redaktionszimmerchen schon lange verrostet sind. Oder die wir noch nie hatten.
Zuletzt war Achim noch bei der »Kirche der Angst vor dem Fremden in mir« dabei. Bei unserem Gastspiel in Amsterdam, das so viel schöner war als das beim Berliner Theatertreffen, kam er auf mich zu und gab mir Tipps, was ich machen müsse, damit die Spritzen, die ich bekomme, nicht zu so komischen Beulen führen. Da hätte er sich jetzt bei seinem Arbeitskollegen in der Gärtnerei erkundigt. So war der Achim. In vielem wird er mir fehlen. Auf unserer Hochzeit saß er da, rauchte, trank Kaffee und sagte kaum ein Wort. Aber seiner Helga hat er hinterher wohl ausführlich berichtet. Sie wusste jedes Detail. Achim war kein schneller Typ, kein Zuquatscher, aber er hat immer alles genau registriert. Und auch wenn ich mich nicht auf das Jenseits freue, muss ich doch sagen: Achim ist jemand, auf den ich mich sehr freue. Auch wenn ich gerade immer öfter denke, dass unsere Konsistenz im Jenseits jedes normale Treffen nach irdischen Maßstäben wohl unmöglich macht. Momentan ist das mein größtes Unglück. Aber wer weiß … Der Achim weiß schon, wie das geht. Und ich lass mir noch lange Zeit, aber vielleicht kann er da oben schon mal für Klarheit sorgen, dass Gott und die Heiligen nicht unbedingt für Menschen wie Achim gemacht worden sind.
(1. Januar 2010, Schlingenblog auf www.schlingensief.com )
Grundsteinlegung in Burkina Faso
Es ist vollbracht. Die Grundsteinlegung des Operndorfs hat stattgefunden, in Laongo, eine Dreiviertelstunde von Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou entfernt. Es war der helle Wahnsinn: Bestimmt 500 Menschen waren gekommen, zwölf Häuptlinge, Familien, Arbeiter, die Botschafter Japans, Chinas, Malis, Senegals, Belgiens, Frankreichs, Südafrikas, Deutschlands, der Europäischen Union und, und, und. Dazu die Landespolitiker, der Kultusminister, Kabinettschef, Bürgermeister. Alle unter Zeltdächern mit heftigster Sonnenbestrahlung. Im Hintergrund drei riesige Plakatwände mit den Architekturplänen, Modellanimationen und dem 3-D-Modell. Und vorne viele, viele Reden! Meine Rede war zu lang, aber sie kam gut an. Auch die Krankenstation wurde noch einmal explizit vom Kultusminister genannt, nachdem ich sie zum Zentrum meiner Rede gemacht hatte. Kunst kann heilen!
Es war wirklich unglaublich schön und weich. Wenn man sieht, mit welcher Macht und Eleganz die Häuptlinge die Dinge abklären und immer wieder befragen, ist das
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